07.12.2025 - "Der Angst mit Trotzkraft wehren" - Predigt am 2. Advent zu Lk 21,25-33 (Pfarrerin Sr. Elise Stawenow)
„Der Angst mit Trotzkraft wehren“
Predigt Lk 21,25-33
2. Advent 2025 Zedtwitz und Hospitalkirche Hof
Pfrin. Sr. Elise Stawenow
Liebe Gemeinde,
in der vergangenen Woche bekam ich per Post ein Adventsgeschenk. Zwei Paar Wollsocken. Ich wurde im Vorfeld gefragt, welche Farbe ich mir wünsche. Ich antwortete: Am liebsten bunt und geringelt wie Pippi Langstrumpf, aber konform mit meiner Schwesterntracht ist wohl eher eine dezente Farbe. Also bekam ich zwei Paar Socken in bedeckten Farben. Eines morgens zog ich ein Paar an. Als ich sie an den Füßen hatte, bemerkte ich: Es waren zwei verschiedene Socken. Die Strümpfe waren vertauscht zum Paar zusammengelegt worden. So eine Überraschung! Genau, wie Pippi tat ich das Gegenteil von dem, was man erwartete und zog die Strümpfe an. Ich fühlte mich ein wenig „pubertär“.
Wie damals als ich widerständig habe ich meine Identität gesucht. Und oft das Gegenteil von dem tat, was man von mir erwartet. Vielleicht erging es ihnen ähnlich.
In der Pubertät laufen Umbau- Veränderungsprozesse. Der neue, erwachsene Mensch muss sich erst finden.
Der Predigttext heute spricht von einer „Umbauphase“ ein. Es geht nicht nur um einen individuellen Entwicklungsweg, sondern um den Werdegang der Welt.
Ich lese ihn noch einmal: Lukas 21,24-33
25Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, 26und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen. 27Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. 28Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.
29Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: 30wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wisst ihr selber, dass der Sommer schon nahe ist. 31So auch ihr: Wenn ihr seht, dass dies alles geschieht, so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist.
32Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht. 33Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.
„Jesu Rede über die Endzeit“ ist der Abschnitt im Lukas-Evangelium übertitelt.
Jesus selbst ist auf dem letzten Weg. Es ist die letzte Rede, die er hält, bevor er nach Jerusalem geht und dort sterben wird.
Sie spricht in eine Zeit hinein, in der die Welt aus den Fugen geraten war – so wird es die Gemeinde empfunden haben, für die Lukas schreibt: Der Tempel in Jerusalem zerstört, Jerusalem in Trümmern, Krieg und Verfolgung.
Angst und Schrecken beherrscht die Menschen. Was tun?
Zurückziehen? Einbunkern und Verstecken, um irgendwie zu überleben? – Kopf unter die Decke. Oder in den Sand.
Das ist die Reaktion, die bei solcher Gefahr selbstverständlich neben der Fluchtmöglichkeit.
Jesus ruft genau zum Gegenteil auf – ähnlich der Widerständigkeit einer Pubertierenden:
„Seht auf und erheb eure Häupter!“
Auf der Schwelle in eine neue Zeit heißt es: Nicht einschüchtern lassen und pubertäre Widerstandskraft üben. Christina Brudereck nennt das Trotzkraft.
Am 4. Dezember war so ein Tag, an dem traditionell mitten in der dunkelsten Jahreszeit „ins Grüne“ gegangen wird, um Barbarazweige zu schneiden – kahle Äste, die die Gewissheit in sich bergen, dass die Blüte kommen wird.
So soll es mit der neuen Zeit sein: Sie wird so gewiss kommen wie die grünen Blätter am Feigenbaum und die Blüte am Barbarazweig.
Nur: Wann ist es soweit?
Seit Generationen beschäftigen sich Menschen mit dieser Frage. Not und Bedrängnis, Krieg und schließlich Naturkatastrophen waren immer wieder Gegenstand der Deutung: Jetzt, jetzt ist es soweit, jetzt ist das Ende der Welt!
Das Ende der Welt lässt auf sich warten.
Bis dahin – unter allen Vorzeichen, die wir eingetroffen wissen – bleibt Jesu Aufruf aktuell:
„Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!“
Ich erspare uns, aufzuzählen, warum die Botschaft uns heute gilt. Die Zeichen der Zeit kennen wir.
Aber die konkrete Haltung „Kopf hoch!“ und das Unerwartete tun: Wie geht das?
Am Mittwoch war ich bei dem Podiumsgespräch der Diakonie zum Thema „Überfremdung oder Bereicherung – wie ist die Lage im Hofer Land?“ Die Frankenpost hat ausführlich darüber berichtet.
Es fand im Central-Kino statt. Ich saß im bequemen Kinosessel, neben mir ein Mann, wir nickten uns zu, sprachen aber nicht miteinander. Während der Veranstaltung merkte ich, dass ihn das Gespräch mitnahm. Er knetete die Finger, wurde unruhig. Wenn ich klatschte, klatsche er nicht. Wenn ich nicht applaudierte, er schon. Mir wurde mulmig. Ich spürte, wie sich Polarisierung anfühlt. Wir sitzen nebeneinander, aber stehen uns eigentlich gegenüber - ein Graben dazwischen. Wird das gut gehen? Nach Ende der Veranstaltung, stand ich auf. Ging ohne ihn anzuschauen zwei Schritte Richtung Gang. Dann kam mir, was ich predigen wollte: „Seht auf und erhebt eure Häupter.“ Sollte ich vielleicht doch eher das Gegenteil tun von dem, wonach mir da zumute war?
Liebe Gemeinde, warum erzähle ich das?
Hier geht’s doch gar nicht um Politik, oder?
Im Text geht es um unsere Welt, in der wir miteinander leben.
Zwei Beobachtungen zum TExt:
- Der Text erzählt vom Gegenüber der Mächte. Eine böse Macht: „Die Menschen werden vergehen vor Furcht… denn die Kräfte des Himmels werden ins Wanken kommen.“
Eine gute Macht: „Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit!“ Um den Begriff „Menschensohn“ wird viel gerätselt. In der Vision der Propheten Daniel ist es eine Gestalt, die sich den Chaosmächten widersetzt. Das sind Bestien, die die Weltmächte symbolisieren. Menschen-Sohn bedeutet dann – eine Macht Gottes, aber eine humane – eine mitmenschliche.
Die mitmenschliche Macht Gottes erwarten wir im Menschenkind Jesus – in der Krippe.
Den Sieg der Macht der Liebe erwarten wir am Ende der Zeit - wenn Gott wiederkommt.
Die böse Macht macht Angst. Aber Jesus sagt: Nicht darauf fokussieren. „Seht auf und erhebt eure Häupter.“
- Und weiter: „Wenn das alles geschieht, wisst dass das Reich Gottes nahe ist.“
Das Reich Gottes ist eine ebenso feststehende biblische Vokabel wie der Menschensohn. Leider wurde die Reich-Metaphorik missbräuchlich verwendet. Als ich Konfis beim Thema Vaterunser bat, sich zu einer Bitte zu stellen, die sie wichtig fanden, stellte sich ein Junge zu „Dein Reich komme.“ Als ich fragte, warum, sagte er: „Na wegen dem Dritten Reich.“ Zum Reich fiel ihm nichts anderes ein – und das Dritte Reich faszinierte ihn. Beides Fakten, die mich sehr erschreckten.
Das Reich Gottes ist biblisch die Herrschaft Gottes mit allen guten Attributen: Frieden , Liebe, Gerechtigkeit.
Das Reich Gottes ist Sehnsuchtsort. Es wird kommen. Wir erwarten es. Deshalb Advent – Hinleben auf die Ankunft.
Gleichzeitig schreibt der Evangelist Lukas, der hier von der Endzeit schreibt, einige Kapitel vorher „Das Reich Gottes ist mitten unter euch.“ (Lk 17,21)
Gottes, Friede, Liebe und Gerechtigkeit leben in der Spannung: Sie sind da. Und kommen in seiner Gänze erst noch.
Solange das so ist, gilt Jesu Aufruf: „Seht auf und erhebt eure Häupter.“
Genau das Gegenteil tun als das, was die Angst von uns verlangt. Ins Weite – zu Gott – hinschauen und mich für ein Zeichen des Friedens, der Liebe, der Gerechtigkeit entscheiden.
Den Barbarazweig in die Vase stellen, hegen und auf die Blüte hoffen.
Widerständig Schritte des Erwartens tun - wems gefällt auch mit verschiedenen Socken an den Füßen.
Ich jedenfalls lenkte am Mittwochabend im Centralkino etwas unsicher meine Schritte zurück. Und schaute den Mann an, der eine Stunde im Kinosessel neben mir saß. Auf seiner schwarzen Jacke viel mir ein Anstecker auf: „Zusammenhalten“ stand auf dem schwarzen Untergrund, lauter Strichmännchen, die durch eine Kluft getrennt waren.“
„Sie haben ja einen wichtigen Anstecker“ sagte ich: „Zusammenhalten.“ Ja, antwortete er. Der kommt noch aus der Coronozeit, als sie uns mit der Giftspritze umbringen wollten. Er sprach von einem großen Plan, der die Welt erliege. Die Spannung war spürbar. „Haben Sie Schlimmes erlebt?“ Fragte ich. „Nein, mir geht’s gut… aber.“ Unser Gespräch entspann sich entspannt. Ich beendete es bald. Nicht ohne dass ich ihm deutlich machte, für solche Pläne interessiere ich mich nicht. Aber fürs Zusammenhalten. Einander sehen. Denn Kontakt schafft Sympathie – so die Weisheit meiner Mitschwester bei der Podiumsdiskussion.
Wie auch immer Ihre Form aussieht, den Kopf zu erheben, in de Himmel zu schauen.
„Die Erlösung naht!“
Das ist Jesu Hoffnungsbotschaft, die zu Trotzkraft ruft. Amen.