21.04.2024 - "Laß Schwermut dich nicht nehmen ein, denn auch die liebsten Kinderlein, hat stets das Kreuz betroffen" - Predigt zu 2. Kor 4,14-18 am Sonntag Jubilate (Vikar Fabiunke)

Liebe Gemeinde,

 

kennen Sie den naturwissenschaftlichen Ausspruch: „das Sterben beginnt mit der Geburt“?

Was bedeuten soll, dass das Streben eines Menschen mit seiner Geburt, und nicht etwa erst in hohem Alter beginnt.

Mich erschüttert diese biologische Einsicht.

Ein grausiger Befund.

Und doch ist an ihm in vielerlei Hinsicht was dran.

 

Diese Einsicht stellt Bilder gegenüber, die nicht recht passen wollen.

Wieso sollte das Sterben mit der Geburt beginnen?

Nichts aber auch gar nichts weißt an einem Neugeborenen auf das Sterben hin.

Sein Schrei ist kraftvoll, die Augen wenige Wochen nach der Geburt hell und freundlich, seine Haut ist rein und wohlriechend.

Alles, ja aber auch alles an diesem kleinen Wesen scheint nach Leben zu streben.

 

Dieser kleine Körper wird heranwachsen, sich in seiner Größe wahrscheinlich mehr als vervierfachen.

Das Gehirn wird wachsen und viel, auch so unwahrscheinlich viel aufnehmen.

 

Aber ja: der Horizont, vor dem dieses Leben von jetzt an geschieht, der hat sich geändert.

Schließlich ist es jetzt da.

Das Licht der Welt hat es erblickt.

Die Zellteilung in seinem Körper wird sich nun stetig verlangsamen.

Die Schwerkraft wird an seinem Knochengerüst arbeiten.

Und das Licht dieser Welt seine Haut teilweise empfindlich berühren.

 

Zusammen mit diesem Leben, ja so scheint es, wird auch der Tod geboren.

Er bleibt unser unsichtbarer, mal mehr, mal weniger auffälliger Begleiter in dieser Welt.

Mal scheint er besiegt, da hat man ihn beinah vergessen.

Ja, und dann steht er wieder neben einem, scheint am Bettende zu lauern.

 

„Ach du alter, ungeliebter Begleiter. Wann lässt du mich endlich in Ruhe?“

 

Er ist der große Bedränger, und das vom Anfang unseres Lebens an.

Er weicht nicht von unserer Seite, er lässt sich nicht abschütteln, und zuweilen treibt er uns regelrecht in die Ecke, nimmt uns den Atem, quetscht uns ein.

Er ist der große Verfolger, den wir nicht abschütteln können.

Jedenfalls noch nicht.

 

Es gibt verschiedene Weisen vom Tod zu sprechen.

Ich möchte aber meinen, dass ihn bereits Kleinkinder erahnen können.

Dieser Bedränger zeigt sich im für uns kaum noch vorstellbaren Hungerschmerz, der die Kinder mit verzerrter Miene schreien lässt.

Er zeigt ein Stück von sich, wenn Säuglinge beim kleinsten Anzeichen von Verlassenheit nach ihren Leuten brüllen.

 

In all dem weht schon ein Stück von Endlichkeit hinüber.

 

Dieser Bedränger bedrängt uns später im Leben immer weiter und teilweise immer heftiger.

Auch an Einfällen fehlt es diesem Drecksack nicht.

Mit grauen Haaren, fortschreitender Müdigkeit und schmerzenden Knochen ist sein Werk noch nicht getan.

Das wäre zu äußerlich.

Nein! Er schafft es auch immer wieder, uns unangenehm zu berühren.

Uns da zu packen, wo wir besonders empfindlich sind:

In unserem Inneren.

In unseren Hoffnungen, in unseren Träumen, in unserem Glauben an das Richtige und Gute.

 

Er treibt Spott mit unserer Überzeugung, dass das, was wir hier und jetzt tun, irgendeinen Wert habe, dass unser Erbe nicht vergessen sein wird.

 

Der große Bedränger ist da, wenn wir im Glauben an das Gute bitter enttäuscht werden.

Wenn wir von einzelnen Menschen und den Menschen überhaupt enttäuscht werden.

 

Er sucht uns heim, wenn wir trotz größten Einsatzes von Liebe und Leben einen anderen Menschen nicht in der Beziehung halten können, ihn aufgeben müssen, ihn gehen lassen müssen, ja womöglich noch von ihm betrogen werden.

 

Er suchte meinen Großvater heim, als dieser aus Sachsen in den Westen floh, unter großer Entbehrung auf einen Lastkraftwagen sparte, mit dem er eine Spedition gründen wollte, und schließlich von einem gewieften Betrüger, der sich als Verkäufer tarnte, übers Ohr gehauen wurde. Das Geld war weg, von einem LKW hatte er nie etwas gesehen.

 

Er, dieser große Bedränger, sucht all die Menschen heim, die mit großer Hingabe einen an Demenz erkrankten geliebten Angehörigen pflegen und sich dreisten Vorwürfen Gegenüber sehen.

„Wer sind Sie?“

„Raus! Ich kenne Sie nicht!“

„Du hast mich mein ganzes Leben lang beklaut!“

 

All denen will Paulus nun sagen:

„Denn unsre Bedrängnis, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige, und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit.“

 

zeitlich und leicht soll unsere Bedrängnis hier auf Erden sein...

 

und sie durchzustehen, verheißt eine gewichtige Herrlichkeit....

 

Unsere Bedrängnis ist gerade leicht, weil sie zeitlich ist.

 

Ist es das, was uns Paulus in seiner Gegenüberstellung sagen möchte?

Klingt nach einem schwachen Trost.

Schließlich wurde mir hier und jetzt meine Hoffnung und mein Glaube geraubt.

Leicht ist auch der Schmerz des Abschiedes mitnichten.

 

Dennoch war Paulus aus Fleisch und Blut, und wusste daher nur zu gut, wie uns der Tod von Anfang begleitet und wie er immer wieder seiner Fühler nach uns ausstreckt.

Als Mensch ist Paulus nicht blind für den Tod mitten im Leben, der uns drängt und drückt.

Dieser ist es, der uns erlahmt, uns den Lebenswillen nimmt, uns womöglich tagelang nicht aufstehen lässt.

Paulus weiß um die verzehrende Müdigkeit, die die vielfältigen Erfahrungen des Todes dem Leben bringen.

 

In dieser Welt ist er uns ständig auf den Fersen.

Paulus leugnet nicht, wie unendlich müde ein verfolgter Mensch sein kann.

Wer, wenn nicht Paulus, sollte um die Ermattung ewiger Verfolgung wissen!

 

Und sich selbst, den Christen in Korinth und letztlich uns schmettert Paulus ermutigend entgegen:

„Darum werdet nicht müde!“

„Sondern wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert!“

 

Der innere Mensch ist der, welcher von Geburt an nicht unter dem Stern des Todes steht!

 

Der innere Mensch ist einer, der mit der Taufe in den Horizont der Auferstehung gestellt wurde!

 

Es ist der, der sich von der Ohnmacht unerwiderter Liebe nicht zerstören lässt.

Er, der innere Mensch in Christus ist es, der in der schmerzhaften Erfahrung des Betrugs eine reiche Erfahrung für das Leben sieht, und sogleich mit Auferstehungsfreude ans Werk geht.

Der innere Mensch, der sich von Tag zu Tag erneuert ist auch der, welcher daran festhält, dass heute der Tag sein könnte, an dem er einmal wieder von seiner an Demenz erkrankten Mutter erkannt wird.

Er ist es, der in der Gewissheit eines Wiedersehens nach dem Tode am liebenden Band zu den Eltern festhält.

 

Der Mensch im Horizont von Gottes Ewigkeit schmäht die vergangene Liebe nicht.

Gewiss: er trauert um zerbrochene Liebe, keinesfalls aber bedauert er, je geliebt zu haben.

 

Menschen die derart hoffen, glauben und handeln haben ihren inneren Menschen zur Reifung gebracht.

Der Tod als Verfolger und Bedränger kann sie nicht ängstigen, denn ihr Blick ist, wie Paulus sagt, nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare hin ausgerichtet.

 

Den Tod gerade in unserer Welt zu erkennen ist nicht nicht schwer, sogar leichter als noch vor 5-10 Jahren wie mir scheint.

Gewichtig ist doch aber, Christi Verheißung auf das Leben zu folgen.

 

Den Menschen wurde mit Ostern eine neue Perspektive zu Teil.

Gott, der seinen Sohn auch in seinen Schmerz und seinem Tod nicht vergessen hatte, rief ihn aus dem Grab heraus.

Christus wiederum zeigt auf einen Vater im Himmel, der auch uns aus den Gräbern herausruft.

Den äußeren, körperlichen Menschen kann der Tod niederhauen.

Den inneren Menschen aber, den dieser Gott an sich gebunden hat, den kriegt er nicht!

 

Es ist schon ein besonderer Glaube, den die Christen haben.

Immerzu erspäht er die Chance, das Leben dort, wo der Tod längst seine Standarte gepflanzt hat.

 

Nein Tod, meine Liebe wird nicht verglühen in dieser Welt, die du so heftig bedrängst!

Nein, du Elendiger, meinen Blick auf das Gute im Menschen kannst du nicht trüben, und meinem Wiedererstehen kannst du nicht schaden.

Nein, meine Fürsorge war und ist nicht umsonst!

 

Das Wunder des Mensch-Seins aus dem Christ-Sein – wie schön wird es im Lied „O Lebensbrünnlein tief und groß“ besungen:

 

„Hüpf auf, mein Herz, spring, tanz und sing, in deinem Gott sei guter Ding, der Himmel steht dir offen.

Laß schwermut dich nicht nehmen ein, denn auch die liebsten Kinderlein, hat stets das Kreuz betroffen.

Drum sei getrost und glaube fest, daß du noch hast das Allerbest in jener Welt zu hoffen.“

 

Amen.