07.01.2024 - "Die Berufung und Erwählung des Einzelnen" - Predigt zu 1Kor 1,26-31 am 1. Sonntag nach Epiphanias (Vikar Fabiunke)

Liebe Gemeinde,

 

als ich ein Kind war habe ich mir immer neue Berufe ausgedacht.

Damit will ich sagen: ich habe nicht neue Berufe erfunden, sondern über neue Berufe erfahren, und mich selbst immer wieder darin gesehen.

Sie kennen das Spiel vielleicht aus der eigenen Kindheit:

Ich verschreibe mich in der eine Woche ganz einer Sache, wünsche mir,

wenn der eigene Geburtstag oder Weihnachten dazu Anlass bieten,

auch ganz viele Dinge, die mit dem Beruf zu tun haben.

Dann wurden mir Sachbücher über den Beruf, und andere Dinge, die mit dem Beruf zu tun haben oder darüber informieren, geschenkt.

Als Kind kleidete ich mich also ganz in dem Beruf ein, wurde eins mit ihm.

Und zwei Wochen später stand auf der eigenen Liste der Lieblingsberufe schon wieder ein ganz anderer an erster Stelle.

Was die ferneren Verwandten bei jedem Besuch dazu veranlasste, zu fragen, welcher Beruf den gerade dran sei.

„Na, willst du immer noch Müllmann werden?“

Hieß es dann von einer Tante, die uns bloß gelegentlich besuchte.

 

Das Müllmann-Beispiel ist nicht ausgedacht.

Mein erster Berufswunsch im zarten Alter war der des Müllmanns.

Ich empfand ihn eben als gesellschaftlich sinnvoll, und außerdem gefiel mir dieses hydraulische Gerüttel der Tonnen, sowie das Surfen auf dem Trittbrett des Mülllasters gut.

Pfarrer wollte ich übrigens als Kind, und dies obwohl es ein familiäres Vorbild gegeben hätte, nie werden.

 

Was Kinder tun, sollten wir uns ein Stück weit bewahren.

Ein Beruf ziehe ich mir ganz an, mache ihn mir ganz zu eigen.

Was ich beruflich mache, das sollte viel mit den eigenen Neigungen, Veranlagungen und Idealen zu tun haben.

Einen Beruf ergreifen wir, weil wir uns berufen fühlen, ihn auszuüben.

 

„Ich kann ganz gut mit Geld umgehen, mache am liebsten mein eigenes Ding, bin mein eigener Herr, liebe Schuhe, und komme gerne mit Menschen in Kontakt.

Schuhverkäufer mit eigenem Geschäft – das ist wohl mein Beruf!“

 

Berufe können in einer Familie auch ganz einfach da sein.

Der Beruf des Landwirts zum Beispiel.

Bei diesem gesellt sich noch hinzu, dass man hier nicht allein von der familiären Tradition,

sondern zudem auch von den materiellen Gegebenheiten berufen wird.

 

„Der Hof ist nun einmal da, die Erntemaschinen sowieso, das Vieh auch.

Warum soll ich das alles nicht nutzen?

Wieso verwerte ich nicht einfach das weiter, was Generationen vor mir aufgebaut haben?

Außerdem bin ich der einzige, der noch nicht in die Stadt gezogen ist und halbwegs ein Händchen für solche Dinge hat.

Wer soll es also sonst machen?“

 

Einem Beruf nachzugehen bedeutete scheinbar auch so ein bisschen, vielerlei innerer und äußerer Gründe zu haben.

Sich berufen, oder herausgerufen zu fühlen hat einen Blumenstrauß an Beweggründen.

Ich muss mein Leben an ein bestimmtes Lebensmodell überschreiben.

Aber das ganze ist ja doch recht äußerlich.

Die Sache ist längst nicht so gradlinig, wie ich sie mir als Kind vorgestellt habe.

 

„Gar nicht so einfach zu sagen, was letztlich berufen hat, könnte vieles sein:

das ist fürs erste genug.“

Letztlich aber fehlt das kindliche Ideal der Berufung, das auch immer so etwas von Einzigartigkeit und völliger Genugtuung in sich trägt.

 

Etwas anders verhält es sich mit der Erwählung:

kann ich mich erwählt fühlen, Bäckermeister oder Landwirt zu werden – oder Pfarrer?

Mir scheint das nicht der Fall zu sein.

Über den Eindruck der Erwählung spricht man heute kaum noch.

Und von den religiösen Kreisen, die den Begriff überbetonen, halte ich mich persönlich lieber fern.

Mit der Erwählung wurde und wird gerade auch bei uns Evangelischen viel Schindluder getrieben.

 

Dennoch ist der Begriff nicht von gestern:

Erwählung ist für mich ein Eindruck;

ach nein, das reicht noch nicht:

Erwählung ist eine tiefe innerliche Überzeugung.

Erwählung kann ich nicht verweltlichen wie die Berufung.

Erwählung hat mit mir und mit Gott zu tun, und mit niemandem sonst.

Sie ist eine Überzeugung davon, dass Gott mich sieht.

Als Erwählter bin ich beseelt von dem Glauben, dass Gott nur mich angesprochen hat.

Ich kann den Inhalt seine Anrede gar nicht in Worten wieder geben.

Und gerade deshalb trägt seine Erwählung und gibt mir eine ungeahnte Festigkeit im Leben.

In der Erwählung bin ich und Gott allein.

Erwählt hat er mich allein.

 

Da ist etwas von Einsamkeit in der Erwählung, welche aber keine schlechte Einsamkeit ist.

Die Einsamkeit der Erwählten ist eine süße.

 

Jesus Christus sprach einmal selbst: „viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt.“ (Mt 22,14)

 

Und noch weniger der Erwählten fühlen sich wirklich aus- oder erwählt.

Das liegt daran, dass ich eben was ganz bestimmtes brauche, was ich in wenigen Sätzen erklären kann, das meine Erwählung zusammenfasst.

Habe ich diese Dinge einmal für mich erfasst, so kann ich ja aktiv weiter nach Erwählung streben,

also selbst in der Gnade bleiben.

Mir mit meinen begrenzten Kräften steht diese Macht aber nicht zu.

 

Durch dauerndes Gebet sichere ich mir nicht Gottes Erwählung; höchstens ist es Ausdruck meiner Selbst-Erwählung.

Auch in einem ethisch tadelloses Leben kann ich mir meiner Erwählung nicht sicher sein.

Da habe ich mich ebenso selbst erwählt bevor Gott es vermochte.

Auch das liebe Geld, also mein Kontostand, sind nicht Zeichen meiner Erwählung von Gott.

Über Wohlstand sollte ich dankbar sein, er ist vielleicht sogar ein Zeichen dafür, dass ich den richtigen Beruf ergriffen habe, aber mit Gottes Erwählung hat Geld herzlich wenig zu tun.

 

Denn in dieser wurde ich höchst persönlich von Gott angesprochen.

Ergriffen wurde ich – aber nicht im sentimentalen Sinne.

 

Gott hat mich tief gepackt, und dies hat er getan, als ich nicht viel mit ihm, Jesus Christus, oder seiner Kirche anfangen konnte.

Er hat sich in mein Leben aktiv eingemischt, als ich Jahre nicht mehr zu ihm gesprochen hatte und mein Vertrauen in ihn verloren hatte.

So groß ist seine Macht.

 

Erwählungs-Momente sind schwer in Worte zu fassen.

Sie müssen auch gar nicht in Sätze gegossen werden können.

Die darf ich ruhig für mich behalten;

niemandem bin ich darüber einer Auskunft schuldig.

Schon gar nicht als Glaubensprüfung.

Ich und mein Gott – die Beziehung ist so fest, so intim, dass ich mit ihr nicht haussieren gehen muss.

 

Erwählungs-Momente verwahre ich wie einen kleinen Schatz.

Ich verwahre ihn an verborgenem Ort.

Jedoch so, dass ich ihn selbst noch finden kann.

So wird etwas vermeintlich verloren-Gegangenes zur neuen Kraft in meinem Leben.

 

Zuletzt schauen wir auf das Kreuz:

Es ist der Ausdruck unserer Erwählung überhaupt.

Ganz ohne Sentimentalität.

Es kommt ohne den Glanz eines besonderen Erwählungs-Momentes aus.

Trotzdem ist es Ausdruck von Gottes Erwählungs-Macht.

Es ist die Erwählung, die unseren persönlichen Erwählungseindrücken immer vorauseilt.

Die Erwählung des Menschen überhaupt, in der sich Gott zu dir und zu mir vorarbeitet.

Sie ist in viel Leid und Schmach gekleidet, und sucht die Nische.

Gottes Erwählung scheut unser Menschsein nicht.

 

Gottes Erwählung als der eine unergründliche Grund, der mich ergreift, hinausruft und trägt.

Kein vages Bündel Gründen.

Nicht bloße Berufung – sondern eben Erwählung.

Aus ihr heraus arbeitet sich Gott vor zu dir und zu mir.

Begonnen dort, wo vieles endete:

Am Kreuz.

 

Amen.