05.11.2023 - "Der Glaube an die Welt" Predigt zu 1Joh 2,12-14 am 22. Sonntag n. Trinitatis (Vikar Fabiunke)

Liebe Gemeinde,

 

mit dem heutigen Predigttext bin ich nicht zufrieden.

Also mit dem Text an sich schon, aber mit der Abgrenzung nicht.

Die Abgrenzung oder Eingrenzung hat nicht Gott vorgenommen, müssen Sie wissen.

Vielmehr eine Kommission für Predigttexte, der Professoren angehören.

Die sogenannte „Liturgische Konferenz“.

Und diese hat den Text, wie ich finde, ein bisschen in der Luft hängen lassen.

Es fehlt so ein bisschen das Salz in der Suppe.

Hätten die nur einen weiteren Vers aus dem Johannesbrief mit hinein genommen, wäre ein Schuh drauß geworden:

Da heißt es nämlich:

„Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist. Wenn jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters.“

Und die ganze Passage ist in der Lutherbibel überschrieben mit: „Absage an die Welt“

 

Klingt absolut schrecklich! Doch zumindest interessant.

All die Tugenden, die in unserem Predigttext den Adressaten zugeschrieben werden, bewähren sich also in der Weltflucht.

Der Evangelist Johannes schreibt ja in seinem Brief:

Die Kinder sind absolut lobenswert, denn sie haben den Vater erkannt.

Will wohl heißen, sie haben sich in einer Art kindlichen Vaterliebe bewährt.

Die wohl kinderlosen jungen Männer

– denn sonst hätte Johannes sie wohl kaum von den Vätern abgegrenzt –

sind aufmerksame Zuhörer, und können mit ihrer schieren Stärke das Wort Gottes bewahren.

Ihre Willensstärke lässt sie auch vor den Versuchungen der Welt bestehen.

Und dann die Väter: Von denen verspricht er sich gleich zweimal, dass sie den erkannt hätten, „der von Anfang an ist“.

Vermutlich schätzt Johannes in ihnen ihre Weisheit.

Die Väter haben leben gezeugt und begleitet. Sie wissen um das Wunder des Anfangs, das Menschenwunder, das Schöpfungswunder.

Das Wissen um das Wunder des Lebens steckt tief in ihrem Herzen.

 

Diesen drei Gruppen von Christen – Kindern, jungen Männern, und Vätern – schreibt Johannes, weil er in ihnen eine gesellschaftliche, ja vielleicht eine spirituelle Führungsgruppe sieht.

 

Die Frauen, obgleich sie doch in den Evangelien manches mal stärker geglaubt haben als die Männer, und mindestens genauso stark waren, haben hier das Nachsehen.

Johannes braucht an dieser Stelle ganz einfach seine Männer – nun gut...

 

Sie sollen ihre Lanzen und Schwerter quasi für die endzeitliche Weltflucht wetzen.

„Habt nicht lieb die Welt noch was in der Welt ist“!, ruft ihnen Johannes zu.

Ja wahrlich: diesen Aufruf haben nicht wenige Gruppen von Männern, ach was sage ich, Abertausende, wenn nicht Millionen in der Geschichte des Christentums befolgt.

Und befolgen ihn noch immer!

Haben Sie schon einmal das Buch „Der Name der Rose“ oder den gleichnamigen Film mit Sir Sean Connery geschaut?

Ja da fahren sie dahin.

In Klosteranlagen, weit ab von der Welt.

Da richten sie sich dann einen Sonderbereich ein, häufig sogar topologisch der Welt enthoben, und warten.

Manchmal beten sie sogar für die böse Welt da draußen: wie viel besser sie doch sind.

 

Eine Speerspitze des Glaubens, Endzeitstimmung, Welthass.

Dieser Text des Johannes scheint, wenn vollständig gelesen, es in sich zu haben.

Ein gefährlicher Text!

 

Gefährlich, weil wir vergangenen Dienstag den gefeiert haben, der genau diese Art von Glaube bekämpfte.

Keine Sonderbereiche des Glaubens!

Kein Sonderpersonal des Glaubens!

Kein Welthass im Glauben!

Martin Luther stemmte sich gegen alle Möncherei, wie er es nannte,

gegen alle Priesterei – also auch das lustbefreite Zölibatäre –

und gegen alles spirituell Elitäre.

Der Christ hat einen Auftrag in dieser Welt, die nichts weniger als von Gott geschaffen ist.

 

Sodann lesen wir von eben jenem Johannes, der die Weltflucht zu empfehlen scheint dies:

Es sind Worte aus dem Evangelium:

 

„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“

 

Gott hat die Welt geliebt und er tut es noch immer!

Gott gab seinen einzigen Sohn dahin, damit wir in dieser Welt die Liebe Gottes umsetzen können.

Wenn das keine Liebe für diese Welt ist!

 

 

Es waren diese Gedanken, die im späten 19. Jahrhundert den berühmten Hannoveraner Pastor Bernhard Dörries dazu veranlassten, seinem Buch „Der Glaube an die Welt“ folgenden Untertitel zu geben.

Er dichtete den Vers aus dem Johannesbrief selbstbewusst um:

 

So schrieb Dörries:

 

„Habt lieb die Welt und was in der Welt ist. So jemand die Welt nicht lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters.“

 

Gerade also, weil man die Welt liebt, beweist man, dass die Liebe des Vaters einem inne wohnt.

Der Glaube an Gottes väterliche Vorsehung, ist also der christliche Glaube in nuce.

 

Deshalb holt sich Johannes in seinem Brief die Kinder ran.

Sie haben Gott, den gütigen Vater, den Christus uns lehrt, hinter allem in dieser Welt erkannt.

 

Deshalb holt er sich die junge Männer:

Denn in ihnen ist der Glaube an diese Welt noch jung und frisch.

Sie haben Ziele und Ideale, und sind durch ihre jugendlich Stärke bereit, einige Risiken für diese Welt einzugehen.

Denn für unsere Welt lohnt es sich doch zu kämpfen!

 

Deshalb holt sich Johannes die Väter.

Sie wissen um das Wunder des Lebens.

Sie haben kleines Leben in den Armen gehalten und die Schönheit dieser Welt in den Augen ihrer Söhne und Töchter entdecken können.

Ihnen hat sich ins Herz geschrieben, dass diese Welt vom göttlichen Willen getragen ist.

Dass ohne diesen Willen nichts wäre.

 

Nun also: hat sich Johannes selbst widersprochen?

Einmal Weltliebe im Evangelium, einmal Weltflucht, wenn nicht Welthass, in seinen Briefen?

 

Ich sage nein:

Der Welt selbst, so möchte er wohl sagen, darf niemals entsagt werden, denn dies wäre, wie Gott unserem Vater zu entsagen.

Denn aus seinem Willen wurde sie geschaffen, und sein ewiger Wille erhält sie.

Aber da gibt es Dinge, welche bloß zur Welt zu gehören scheinen – die sich als Welt ausgeben.

Diese Dinge sind Meister der Täuschung.

Denn anders als die Welt sind sie quasi Schall und Rauch.

 

Das wäre zum Beispiel unsere Gier, auch die sexuelle.

Johannes zielt auch auf den Schein ab, den manche Dinge auf uns ausüben.

 

Gier, Lust, und oberflächlicher Schein sind alle in dieser Welt, weil wir in dieser Welt sind, und uns von unserer menschlichen Seite nicht lösen können.

 

Aber sie entsprechen nicht der väterlichen Verheißung für die Welt!

Sie im eigenen Leben hoch zu hängen, oder gar zu Antrieben des eigentlichen Weltgeschehens zu erheben, wäre Gottes Willen für diese Welt zu verkennen.

 

Wer also meint, all diese Dinge – Gier und Trieb – seien es, welche die Welt „in ihren Fugen zusammenhalten würden“ und uns dazu veranlassen, uns täglich aus unseren Betten zu erheben, der hat die Liebe des Vaters nicht.

 

Wer aber weiß, dass das kindliche Vertrauen an Gott den Vater,

die innere, dem Gewissen verpflichtete Standhaftigkeit und Treue,

und das geduldige Wissen um unser aller Ursprung und aller Ziel

die eigentlichen Beweger in der Welt sind,

die zu aller Zeit über die anderen Scheinkräfte triumphieren müssen,

der hat die Liebe des Vaters und bleibt in der Liebe des Vaters.

Komme, was da wolle!

 

Amen.