20.11.2022 - "An dem Feigenbaum lernen."-Predigt am Ewigkeitssonntag zu Markus 13, 28-37 von Vikar J. Fabiunke

„An dem Feigenbaum lernen...“

Predigt zum Ewigkeitssonntag 2022

Hospitalkirche Hof

Predigttext: Mk 13, 28-37

 

Liebe Gemeinde,

aus Hof kenne ich keine Feigenbäume. Zugegeben: im botanischen Garten habe ich noch nicht nach ihnen gesucht. Bestimmt überwintern sie dort im Schutz des Gewächshauses. Doch in den Gärten der Stadt sind sie mir noch nicht begegnet.

Durch meine südhessische Kindheit und Jugend begleitete mich ein Feigenbaum direkt vor meinem Fenster.

Feigenbäume sind natürlich auch dort nicht heimisch, werden aber vom milden Winter des Rheintals verschont.

Aus dieser langjährigen Bekanntschaft mit einem Feigenbaum darf ich Ihnen also berichten – sofern nicht bekannt, dass dessen Blätter groß und pelzig waren.

Ja, sie waren sogar so groß an Maß und Zahl, dass der Stamm des Baumes ganz unter ihnen verschwand. Und auch die Feigen selbst waren dann nicht mehr leicht zu entdecken.

Da verwundert es nicht, wenn Jesus höchst selbst einmal vergeblich an einem Feigenbaum nach Früchten sucht (Mk 11, 12-14).

Aus der Ferne erspäht er einen belaubten Baum und machte sich optimistisch auf die Suche. Die Szene endet mit einer herben Enttäuschung: Jesus findet keine einzige Feige.

Und was macht er darauf?

Wütend vor Hunger verflucht er den armen Baum!

Keine Spur von Geduld, kein Anzeichen heiliger Langmut. Die Szene wirkt menschlich, ich empfinde sie als durchaus humorvoll.

Und nun also spricht Jesus, der Unduldsame, zu seinen, im Markusevangelium im übrigen eher unverständigen Jüngern dieses mahnende Gleichnis vom Feigenbaum:

„Wenn seine Zweige saftig werden und Blätter treiben,

so wisst ihr, dass der Sommer nahe ist.

Ebenso auch, wenn ihr seht, dass dies geschieht,

so wisst, dass er nahe vor der Tür ist.“ (V. 28-29)

In Palästina grünen Feigenbäume im Unterschied zu dem Großteil der dortigen Vegetation, die wohl ganz-jährlich grünt, allein im Sommer.

Ihr Grünen ist also unverwechselbares Kennzeichen der anbrechenden Reife- und Blütezeit in einer Region, in der die Übergänge zwischen den Jahreszeiten nicht allzu ausgeprägt sind wie in unseren Breitengraden.

Das Bild des reifenden Feigenbaumes verbindet Jesus mit einer persönlichen Mahnung:

„Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschieht“

Und:

„Von jenem Tage aber oder der Stunde weiß niemand,

auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht,

sondern allein der Vater.“

„Seht euch vor, wachet!“

Jesus fordert seine Jünger, ja er fordert die ganze Menschheit und alle Sünder auf, zu wachen.

Vom Feigenbaum sollen alle Hörer dieses Gleichnisses lernen, dass es deutliche Anzeichen für die Zeit der Reife, die Sommerzeit gibt.

Das sind merkwürdig kahle Worte, welche die Fantasie zwingen, sich einiges dazu zu dichten. Ich habe Fragen über Fragen.

Zunächst einmal: Was darf ich hiernach von der erfüllten Zeit erwarten?

Und dann: Was bedeutet die altertümlich anmutende Aufforderung „wachet“?

Ich vermute, dass Jesus das Gleichnis vom Feigenbaum heranzog, um uns Zeitpunkt aber auch Inhalt unser aller Zukunft zu verdeutlichen. In den Worten des Gleichnisses wird Wesentliches über ein Ende gesagt, dass zugleich neuer Anfang sein wird.

Ein Bibelforscher schrieb einmal: „Die Endzeit ist der Sommer der Weltzeit, die Weltzeit der vorausgehende stürmische und schreckensvolle Winter.“[1]

„Endzeit“ –. auf solchen Erwartungen baut sich ein moderne Glaube schwerlich. In der Bibelforschung bezeichnet man die eben gehörte Rede Jesu gar als „apokalyptischen Text“.

Über den Charakter eines Endgerichtes kann ich nicht sprechen.

Aber ich denke manchmal an mein Leben nach dem Tod. Wie mag es mir wohl ergehen? Wie wird mir einmal selbst das Hinübergleiten in die andere Welt gelingen?

Zeit und Stunde, spricht der Herr, können wir nicht wissen, aber wie wir den Sommer durch das Sommergrünen des Feigenbaumes erkennen können, so können wir das, was auf uns jenseits unseres Lebens wartet, auch schon in diesem Leben erkennen:

Die Endzeit als Sommer unserer irdischen Zeit.

„so wisst, dass er, der Sommer, nahe vor der Tür ist.“

Der Zuspruch „rückt mir“ aufs angenehmste „zu Leibe“. Ich muss keine Angst haben, die Zeichen der Endlichkeit in meinem Leben zu entdecken. Denn ich gehe einem neuen Sommer entgegen.

Warum soll ich nun „wachen“, wenn doch die neue Welt von ganz alleine kommt?

Tja, da könnte man an vielerlei denken:Wachen heißt nicht einfach warten.

Wachen bedeutete auch nicht, die Tage angstvoll, quasi schlaflos zuzubringen.

Es bedeutet, aufmerksam zu sein; aufmerksam für das eigene Leben und die eigene Vergänglichkeit. Indem wir wachsam bleiben, nimmt die eigene Lebensqualität eher zu, nicht ab.

Wachsam sind wir auch, wenn wir das Sterben unseres Nächsten nicht einfach verdrängen, sondern zu einem Teil unserer eigenen Wahrnehmung machen: Er ist gegangen, ich muss zu seiner Zeit auch gehen.

Diese Zeichen zu verarbeiten heißt für den einen, die Niederschrift eines Testamentes nicht weiter hinauszuzögern, sondern anzugehen, damit das Feld für die Lieben bestellt ist. Denn wir wissen weder Zeit noch Stunde.

Ein anderer geht vielleicht einem tiefen Bedürfnis von Versöhnung nach, nimmt Kontakt zu einem alten Freund auf, oder versucht, sich zurück zu nehmen, um zur Schlichtung eines Familienstreites beizutragen.

Ein wieder anderer nimmt sich endlich Zeit für sich, zieht sich heraus aus dem erdrückenden Mühlwerk von Emails, Terminen, Social Media und was ihn sonst noch bedrängt.

In den Psalmen beten wir: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ (Ps 90,12)

Jesus spricht: „Sehet euch vor, wachet!“, was aus dem griechischen Urtext ganz einfach mit „schaut, wachet!“ zu übersetzen ist.

Schaut also auf diejenigen, die euch im Tod voraus gegangen sind. Schaut auf euer eigenes Leben. Schaut aber auch auf die Verheißung, wie sie uns im heutigen Predigttext geschenkt wurde.

Diese Verheißung taucht die vergänglichen Dinge dieser Welt in ein warmes Licht, das uns aus der Ferne anstrahlt und die Blätter des Feigenbaumes zu seiner Zeit ergrünen lässt.

Amen.

 

[1]Vgl. Ernst Lohmeyer: Das Evangelium des Markus (Kritisch-exegetischer Kommentar über das Neue Testament 2), Göttingen 171967. S. 281.