19.06.2022 - "Reichtum - Versuchung und Chance" - Predigt zu Lukas 16, 19-31 am 1. Sonntag nach Trinitatis (Pfr. Fischer)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde, eine rabbinische Geschichte:
„Rebbe, ich versteh das nicht: Kommt man zu einem Armen, ist der freundlich und hilft, wo er kann.
Kommt man aber zu einem Reichen, der sieht Einen nicht einmal an.
Was ist das bloß mit dem Geld?“
Da sagt der Rabbi: „Tritt ans Fenster! Was siehst Du?“ – „Ich sehe eine Frau mit einem Kind. Und einen Wagen, der zum Markt fährt.“
– „Gut. Und jetzt tritt vor den Spiegel! Was siehst Du?“ –
„Nu, Rebbe, was werde ich sehen? Mich selber!“
– „Nun erkennst du: Das Fenster ist aus Glas gemacht. Und der Spiegel ist auch aus Glas gemacht.
Man braucht nur ein bisschen Silber dahinter zu legen, schon sieht man nur noch sich selbst.“

Ehrlich gesagt stelle ich fest, diese Geschichte betrifft mich etwas.
Wie oft lass ich mir den Blick verstellen vom Wunsch nach mehr.
Dabei ist es keinesfalls so, als wäre ich maßlos gierig.
Aber ein bisschen mehr hier, oder ein bisschen besser dort, wäre doch schon wünschenswert.

Leider übersehe ich dabei, wie gut es mir wirklich geht.
Ich übersehe, wofür ich alles dankbar sein könnte und müsste.
Und ich übersehe wie diese Dankbarkeit fehlt, in meinem Leben und dem Leben meiner Mitmenschen.

Im Lukasevangelium ist es überliefert.
Jesus will uns vor dieser Gedankenlosigkeit warnen.
Dabei greift er auf ein ägyptisches Märchen zurück.

Hier wird die Unterwelt bilderreich dargestellt.
Wir sollten aus diesen Bildern keine falschen Schlüsse ziehen.
Sie sind unwichtig.
Denn, als die Menschen diesen Bildern glaubten, war für sie die Erde noch eine Scheibe.

Der Sinn dieser Geschichte ist tiefer, als uns Angst vor einem Hades altgriechischer Bauart zu machen.
Lassen sie uns mehr auf die Personen achten!

Hören wir unseren Predigtabschnitt. Ich lese uns aus dem 16. Kapitel des Lukasevangeliums die Verse 19-31:
Jesus sprach: Es war ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen und lebte alle Tage herrlich und in Freuden.
Es war aber ein Armer mit Namen Lazarus, der lag vor seiner Tür voll von Geschwüren und begehrte, sich zu sättigen mit dem, was von des Reichen Tisch fiel;
dazu kamen auch die Hunde und leckten seine Geschwüre.
Es begab sich aber, dass der Arme starb und er wurde von den Engeln getragen in Abrahams Schoß.
Der Reiche aber starb auch und wurde begraben.
Als er nun in der Hölle war, hob er seine Augen auf in seiner Qual und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß.
Und er rief: Vater Abraham, erbarme dich meiner und sende Lazarus, damit er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und mir die Zunge kühle; denn ich leide Pein in diesen Flammen.
Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet, und du wirst gepeinigt.
Und überdies besteht zwischen uns und euch eine große Kluft, dass niemand, der von hier zu euch hinüber will, dorthin kommen kann und auch niemand von dort zu uns herüber.
Da sprach er: So bitte ich dich, Vater, dass du ihn sendest in meines Vaters Haus; denn ich habe noch fünf Brüder, die soll er warnen, damit sie nicht auch kommen an diesen Ort der Qual.
Abraham sprach: Sie haben Mose und die Propheten; die sollen sie hören.
Er aber sprach: Nein, Vater Abraham, sondern wenn einer von den Toten zu ihnen ginge, so würden sie Buße tun.
Er sprach zu ihm: Hören sie Mose und die Propheten nicht, so werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn jemand von den Toten auferstünde.

 

Liebe Gemeinde,
es gibt Unterschiede im sozialen Bereich, die schreien zum Himmel.

Wir dürfen das als Kirche nicht übersehen.

Und schon gar nicht übergehen, indem wir auf das Jenseits hinweisen.

Solche Vertröstung ist ein Alibi für Nichtstun und für den Missbrauch des Evangeliums.

Missbrauch der biblisch begründeten Jenseitserwartung.

Vertröstung ist hier die falsche Überschrift.
Thema des Gleichnisses ist der reiche Mann.
Er ist ohne Namen dargestellt.
Hingegen wird der Arme mit dem Namen Lazarus genannt.
Dieser Name bedeuten: „Gott hilft“.
Auch bleibt unerwähnt, am welchem Ort und unter welcher Gegebenheit die Szene spielt.

Interessant ist, dass die Figur des Lazarus blass bleibt.

Hingegen wird uns der namenlose Reiche als Mensch deutlich.
Als Mensch, dem es zu aller erst um Linderung des eigenen Schicksals geht.
Erst, als dies unmöglich erscheint, erwägt er das Heil seiner Brüder und Schwestern.
Er redet mit Gott, einfach über Lazarus Kopf hinweg.
Dieser erholt sich in diesem Moment des Hilfeersuchens von seinen Leiden in Abrahams Schoß.

Es ist schon dreist.
Mit welcher Verwunderung der Reiche zur Kenntnis nimmt, dass sein Reichtum endlich ist, überhaupt nichts Ewiges bringt.
Und was muss er dann noch sehen?
Da ist dieser arme Tropf, der vor seiner Tür gelegen hat.
Der ihm ständig im Weg lag und mit seinen Geschwüren die Stufen beschmutzt hatte.
Es geht ihm gut.
Er ist geborgen, beschützt und von der Sonne beschienen.
Er, der Reiche, muss leiden!

„Geld verdirbt den Charakter“, „Reichtum macht schamlos!“.
Dies ist eine alte Erkenntnis.
Nur ist dies eine andere Erkenntnis, als im Gleichnis gemeint.
Der dargestellte Hades, die Hölle, ist ein Ort, an dem die Umkehr keinen Sinn mehr macht.
Jetzt wo es zu spät ist, denkt der Reiche plötzlich an seine Brüder.
Vielleicht auch an seine Schwestern.

Die große Gefahr, auf die uns Jesus in seinem Gleichnis hinweist ist: Reiche drohen von ihrem Reichtum besessen zu werden.
Jesus warnt hier vor den Gefahren von Gott Mammon.

Von der Gefahr des Götzen Gier, der unersättlich immer mehr will, obwohl er längst schon genug hat.

Verstand, Wissen und Glaube allein helfen nicht mehr.


Aber Jesus definiert hier einen kritischen Maßstab, ab dem Reichtum an sich Sünde wäre.

Pecunia non olet – Geld stinkt nicht; das heißt ja auch.

Es kommt darauf an, mit welchem Aroma ich meinen Reichtum versehe, also:
Tue ich Gutes damit – oder eben Schlechtes?

Es ist ja immer ganz praktisch auf die zu schauen, die noch reicher sind als ich.

Die Bösen sind auch hier leicht die andern.
Doch so einfach macht es uns Jesus nicht:

Es geht ihm um jeden Menschen.
Jeden einzelnen der Gottes Wort hört und doch ungeprüft seinen rücksichtslosen Lebensstil beibehält.

Jesus klagt weniger an, vielmehr will er Mut machen.
Mut zu einem Leben in Gemeinschaft und Solidarität.
Mut zu einem Leben in Gottes- und Bruderliebe.

In unserer Gesellschaft leben wir zunehmend anonymer und einsamer – Corona hat dies sicherlich in den letzten beiden Jahren gefördert.

Arme und Menschen mit Behinderung werden zwar zur Kenntnis genommen, aber eben auch nur zur Kenntnis genommen.

Immer mehr Menschen gelten in Deutschland als arm. Die momentane Inflation wird diesen Trend noch bestärken.

Die berühmte Schere zwischen Arm und Reich, geht immer mehr auseinander.

Und damit steigt die Gefahr des sozialen Unfriedens in unserem Land, in der EU und weltweit.

Es liegt also in unserem eigenen Interesse, etwas zu tun.

Ich habe noch eine andere Beobachtung:

Die Dunkelziffer der Menschen, die arm sind, ist sehr hoch.

Das kommt wohl daher, dass sich arme Menschen schämen und verstecken.
Jesus möchte unseren Blick auf die Armen lenken, die nicht unbedingt vor unserer Tür liegen.
Trotzdem aber da sind. Wir begegnen diesen Armen an den unterschiedlichsten Stellen.
Armut ist oft weiblich und allein erziehend.
Beim Elternabend traut sie sich nicht zu sagen, dass die Klassenfahrt für sie zu teuer ist.
Armut steht an, bei der Tafel in Hof.
Armut hofft im Durchgangslagern und -heimen der Flüchtlinge in auf Besserung der Situation im eigenen Land.

Armut versteckt sich, weil sie immer noch als Schande gilt.
Arme Menschen statten ihre Kinder oft besonders gut aus, weil keiner merken soll, dass sie arm sind.

Es gibt Menschen, die Armut grundsätzlich als selbstverschuldet ansehen.
Bei etlichen mag das stimmen.
Aber, was ist mit denen, die durch die Unwägbarkeiten des Lebens in Schieflage geraten sind?
Der Volksmund sagt: „Jeder ist seines Glückes Schmied“
Ergo: Wem es schlecht ergeht, der muss einen schlechten Kern haben.
Solch eine pauschale Aburteilung kann auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Jesus schenkt uns an seinem Tisch mehr als ein paar Brosamen.
Er lädt uns ein sein Brot zu teilen.
Er lädt uns ein zu teilen, einen jeden wie es ihm möglich ist.
Damit alle Menschen das Leben in seiner ganzen Fülle haben.
Er lädt uns ein auf unsere Situation zu schauen.
Er lädt uns ein auf die Situation der Menschen zu schauen, die um uns leben.
Er lädt uns ein, gemeinsames Leben lebenswert zu gestalten.

Das bedarf keiner großen Projekte; eigentlich reichen schon ein paar kleine Handgriffe.

Viele Hände – schnelles Ende – das gilt auch für das Armutsproblem


Deshalb zum Abschluss eine weitere rabbinische Geschichte:
Ein Rabbi bat Gott darum, den Himmel und die Hölle sehen zu dürfen.
Gott erlaubte es ihm und gab ihm den Propheten Elija als Führer mit.

Elija führte ihn in einen großen Raum.
In dessen Mitte, auf einem Feuer, stand ein Topf mit einem köstlichen Gericht.
Drum herum saßen Leute mit langen Löffeln und schöpften aus dem Topf.
Aber die Leute sahen blass, mager und elend aus.
Es herrschte eisige Stille.
Die Stiele ihrer Löffel waren so lang, dass sie das herrliche Essen nicht zum Munde bringen konnten.

Als die Beiden wieder draußen waren, fragte der Rabbi den Propheten, welch ein seltsamer Ort das gewesen sei.
Es war die Hölle.

Dann führte Elija den Rabbi in einen zweiten Raum, der genauso aussah wie der erste.
In dessen Mitte, auf einem Feuer, stand auch ein Topf mit einem köstlichen Gericht.
Leute saßen drum herum, auch mit langen Löffeln in der Hand.
Sie allerdings waren alle gut genährt, gesund und glücklich.
Sie unterhielten sich angeregt.
Dieser Raum war der Himmel.
Denn diese Menschen versuchten nicht, sich selbst zu füttern.
Sie nutzten die langen Löffel, um sich gegenseitig zu versorgen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.