03.04.2022 - "Dienen, nicht herrschen!" - Predigt zu Markus 10,35-45 am 5. Sonntag der Passionszeit (Pfarrer Stefan Fischer)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde!

Mamaaa! Wir kennen diesen Tonfall.
Ersatzweise geht auch Papaaa!

Oder Ihr Vorname.

Es ist dieser Tonfall, bei dem man schon weiß, gleich kommt etwas. Eine Frage. Eine Bitte.

 

Der Instinkt sagt uns: Vorsicht, erst mal nachfragen, bevor man etwas zusagt.

Sonst sitzt man in der Falle, muss lange erklären, warum man nun genau diesen Wunsch nicht erfüllen kann.

 

Jakobus und Johannes sprechen Jesus an:

Meisteeer, tust du uns einen Gefallen?

Wir haben da mal eine Bitte.

Wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden.

Jakobus und Johannes sind nicht irgendwer.

Neben Petrus und seinem Bruder Andreas sind sie die meistgenannten Jünger, das heißt sie gehören zum innersten Kreis der Jünger.

Sie möchten diese Position halten, ja ausbauen.
Sie haben eine klare Zielvorstellung, eine Vision, entwickeln ein Strategiekonzept zur Realisierung.

Sie gehen also zu Jesus.

Meisteeer, wir haben da mal 'ne Frage.

Wir möchten zu an deiner Seite sitzen in deiner Herrlichkeit, einer rechts und einer links.

Jesus hört zu.

Jesus weist den Wunsch erstaunlicherweise nicht sofort ab.

Er antwortet nur: Ihr wisst nicht, was ihr bittet.

 

Was mögen die beiden sich vorgestellt haben?

Dreimal zuvor hat Jesus angekündigt, dass sie nach Jerusalem gehen und dass er dort leiden und sterben und nach drei Tagen wieder auferstehen wird.

Nun sind sie kurz vor dem Ziel.

Die Stadt ist nahe.

Dort wird sich der Weg Jesu vollenden.

Dort wird er sich als der endzeitliche Messias offenbaren. Vom Lohn der Nachfolge hatte Jesus geredet, der denen verheißen ist, der wie sie alles hinter sich gelassen hat und Jesus gefolgt ist.

Vom Sitzen auf Thronen hatte Jesus geredet.

Vielleicht dachten die beiden: Da wird es doch höchste Zeit, sich einen guten Platz zu sichern.

 

Diese Haltung sollte uns Deutschen, die wir weltweit dafür bekannt sind, morgens um 7 Uhr unsere Strandliegen mit Handtüchern zu reservieren, nicht ganz fremd sein.

Jesus weist die beiden - wie gesagt - nicht zurecht.

Er fragt nur, ob sie auch den Preis bezahlen können.

Mit dem möglichen Verlusts eines Badelakens ist es hier nicht getan.

„Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?“

 

Kennt Ihr auch Leute, die den Satz: „Ich weiß nicht“ nicht über die Lippen kriegen?

Sie antworten auf Fragen grundsätzlich mit Ja oder Nein, meist mit Ja, ohne einen blassen Schimmer zu haben, worum es geht; ich vermute, meist Männer - aber das nur am Rande.

Die beiden antworten also auf Jesu Frage mit einem klaren Ja, ohne nochmal nachzufragen, wie Jesus das meint.

Dabei hätten sie einen guten Grund; denn die Bilder, die Jesus benutzt, klingen nicht sehr verheißungsvoll: der Kelch des Leides, von dem Jesus im Garten Gethsemane hofft, dass er an ihm vorübergehe, der Kelch des Zornes Gottes von dem die hebräische Bibel spricht.

Das Bild von der Taufe erinnert an Psalmen, in denen die Beter ihre Situation als Ertrinkende umschreiben, die den Boden unter den Füßen verlieren.

Es sind Bilder von Leiden und Sterben, so wie es Jesus ja vorher schon wiederholt angekündigt hat.

Und natürlich hören wir heute die beiden Sakramente mit, die uns mit dem Tod Jesu verbinden:
Die Taufe, durch die wir in Jesu Tod getauft worden sind, wie Paulus es sagt.

Und das Abendmahl, den Kelch des Heils, durch den wir immer wieder an Jesus Tod und Auferstehung Anteil haben.

 

Jesus sagt: Ja, ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; - auch ihr werdet in meiner Nachfolge das Martyrium erleiden -, aber selbst damit verdient ihr euch nicht die Ehrenplätze an meiner Seite.

Die Ehrenplätze vergibt Gott.

Haben wir überhaupt einen Anspruch auf den Himmel?

Hoffnung ja – aber kein Recht darauf!

 

Als die anderen Jünger den Inhalt des Gesprächs mitbekommen, werden sie sauer.

Vielleicht finden sie es ungehörig, sich so bei Jesus einzuschleimen.

Jesus hat doch immer gesagt, dass die Ersten die Letzten und die Letzten die Ersten werden sollen.

Da drängelt man sich besser nicht nach vorne, sondern hält sich lieber hinten.

Vielleicht haben sich die anderen Jünger einfach nur geärgert, dass sie selber nicht auf diese Idee gekommen sind.

Wenn das geklappt hätte, wenn Jakobus und Johannes Erfolg gehabt hätten, wären sie in alle Ewigkeit auf den hinteren Plätzen geblieben.

Dass es wohl so war, merkt man daran, dass Jesus nun alle Jünger zugleich anspricht und ihnen die Spielregeln des Reiches Gottes erklärt.

 

Denn in Gottes Reich soll es anders sein als in der Welt.

Jesus weiß, wie es in der Welt zugeht.

Er ist in ein Volk geboren, das unter römischer Oberherrschaft litt.

Der gerühmte „römische Friede“ bestand darin, dass die besiegten Völker so viele Steuern und Abgaben zahlen mussten, dass das Land völlig ausblutete.

Widerstand wurde brutal mit Waffengewalt im Keim erstickt.

Das hatten Jesus und seine Jünger tagtäglich vor Augen.

So wussten alle, was er meint, wenn er sagt: „Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.“

Dagegen soll im Reich Gottes und damit schon jetzt im Jüngerkreis eine andere Ordnung herrschen: „Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“

 

Ich weiß nicht, bei wem sich da so ein ungutes Gefühl in der Magengegend einstellt.

Wenn dem so ist, mag das verschiedene Ursachen haben.

Eine vielleicht: Das mit dem Dienen kann ja auch Etikettenschwindel sein.

Bei einem Minister, auf deutsch Diener, denken wir nicht an jemanden, der auf der sozialen Leiter so fürchterlich weit unten steht.

Manches wird Dienst genannt, ist aber de facto Herrschaft.

Nicht überall, wo Dienst draufsteht ist auch Dienst drin.

 

Es gibt auch eine schädigende Art von Dienst, die den anderen in eine Art Abhängigkeit treibt.

Im Zweifel ist in der größten Not jede Hilfe recht.

Aber irgendwann muss sich der, dem geholfen wurde, auch fragen: Zu welchem Preis bekomme ich die Hilfe.

Inzwischen hat man erkannt, dass mancher Dienst mehr dem Helfer dient als dem, dem es zugutekommen soll.

Da kann man schmunzelnd erzählen von dem übereifrigen Pfadfinder, der mit seinem Ethos „Jeden Tag eine gute Tat“ der alten Dame über die Straße hilft, die aber gar nicht rüber wollte.

Aber das kann auch tragischer sein: bei helfenden Berufen weiß man um die Gefahr des „Helfersyndroms“ und bedenkt schon in der Ausbildung, warum man hilft.

Ob man es tut, weil es notwendig ist, weil es Freude macht.

Ob man sich auch noch gut fühlt, wenn man gerade mal nicht gebraucht wird, - das ist dann in Ordnung.
Oder ob man sein ganzes Selbstwertgefühl nur daraus zieht, dass man gebraucht wird – das ist dann nicht in Ordnung.

Denn dann besteht die Gefahr, dass man andere in einer hilfsbedürftigen Lage hält, damit sie einen brauchen.

Mit diesen und vielleicht noch anderen Fragen in Sachen Dienst zurück zur Geschichte.

Erstaunlicherweise stellt das Jesus gar nicht in Frage, dass einer groß oder der Erste sein will.

Offensichtlich gehört das zum Menschsein dazu.

Die Menschen sind nicht gleich - ähnlich vielleicht.

Nicht alle möchten dienen, aber auch nicht alle möchten herrschen.

 

Nur hat dieses „Erstersein“ im Reich Gottes eine andere Qualität als in der Welt.

Es geht nicht darum, von oben nach unten Macht auszuüben, sondern sich so zu verhalten, dass man andere befähigt, in die Lage versetzt, etwas zu tun, Hilfe zur Selbsthilfe.

Es geht nicht darum, selber Groß zu scheinen, indem man andere klein hält, sondern ihnen zu helfen, zu wachsen, größer zu werden.

Der Dienst in der Nachfolge Jesu soll den anderen, ihrem Leben, zu gute kommen.

 

„Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.“

Jesus selber ist das Vorbild.

Er herrscht nicht, er lässt sich nicht von anderen dienen, sondern er dient anderen, er hilft ihnen auf die Beine.

Bei der Heilung des Gelähmten im wahrsten Sinne des Wortes, aber im übertragenen Sinne auch denen, die er aus der Einsamkeit befreit, die er mit anderen und mit Gott versöhnt.

Er gab sein Leben als Lösegeld, um uns Menschen freizukaufen von dem, was uns versklavt.

Die Bibel nennt das „Sünde“ und meint damit nicht nur irgendwelche Einzeltaten.
Sünde, das sind die Mächte, die Leben verhindern, bei uns und bei anderen.

Die Sünde trennt uns von Gott und seiner Liebe.

Gott überwindet die Sünde für uns; deshalb ruft er uns in seine Nachfolge.

Weil Jesus uns dient, sollen wir anderen dienen.

 

Was Jesus für uns getan hat, hat eine andere Qualität: Jesus hat sein Leben für uns gegeben, uns mit Gott versöhnt.

Das, was wir für andere tun können, ist weniger existentiell, aber die Bewegungsrichtung ist die gleiche.

Der Dienst an unseren Mitmenschen hat viele Gesichter.

Gerade heute am Sonntag wird ja deutlich, dass Dienstleistungen mehr sind, als nur ein steigender Wirtschaftszweig.

Überlegen wir mal, was wir heute noch vorhaben und welche Dienstleistungen wir dafür in Anspruch nehmen werden:

Stromversorgung, Tankstelle, Gastronomie, Kino, Theater, Kultur oder einfach nur Radio und Fernsehen - dahinter stehen Menschen, die heute arbeiten müssen, und das vielleicht sogar gerne tun; weil auch Sinn und Freude macht für andere dazusein.

Und dazu alle die, von dem wir hoffen, dass wir sie nicht benötigen: Feuerwehr, Notarzt, Sanitäter, Krankenhaus, Polizei, Abschleppwagen, Bestatter...

Und damit wir morgen wieder einkaufen können, werden heute Nacht in den Lagern der Großmärkte die Waren zurechtgestellt und die LKWs beladen...

Gut, dass es all das gibt.
Gut, dass viele Menschen dadurch Arbeit und Brot haben.

Und darüber hinaus gibt es noch ganz viel freiwilligen, ehrenamtlichen Dienst, in der Familie, in der Nachbarschaft.

Da bringen Nachbarn regelmäßig Getränkekisten zum gebrechlichen alten Ehepaar oder kaufen für sie ein.

Da opfern Menschen auf vielerlei Weise Zeit und Kraft für andere, für ein Lächeln, einen Händedruck, ein Dankeschön.

Da öffnen viele ihre Wohnungen und Häuser für die flüchtenden ukrainischen Menschen, geben ihnen ein Dach über dem Kopf, versorgen sie mit allem Lebenswichtigen, schenken ihnen und ihren Kindern Sicherheit, Frieden und eine neue Perspektive – während die Ehemänner, Väter und Söhne für die Freiheit ihres Landes kämpfen.

Auch wir können heute wieder durch unsere finanzielle Unterstützung helfen.

 

Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene.

Jakobus und Johannes wollten sich ihre Ehrenplätze im Himmel sichern, Jesus weist sie und uns auf die Erde,
verweist und auf diese Welt und die Menschen die mit uns leben.
Hier ist das Leben zu bestehen im Dienst aneinander.

Dazu helfe uns Gott! Amen

 

Der Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.