05.12.2021 - "Ankommen" - Predigt am 2. Advent zu Jes 65,17ff. (Pfr. Fischer)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

Eigentlich sollten sie wieder im vollen Gange sein:
Die Weihnachtsmärkte und Weihnachtsfeiern, mit Lichterketten, Glühweinständen und Musik.

Die Adventszeit war vor Corona eine fröhliche und stimmungsvolle Zeit geworden, hell und mit viel Licht.

Nun gehen wir ein zweites Mal unter Pandemiebedingungen durch die Adventszeit auf Weihnachten zu.

Wir werden unter dramatischen Umständen daran erinnert, dass die Adventszeit auch sehr ernste Seiten hat – ohne Feste, Feiern, Fröhlichkeit.

Und, Ironie des Schicksals: Ungewollt bekommt dieser Advent, wie auch schon der letzte, seine eigene, ursprüngliche Bedeutung zurück.

Wir werden daran erinnert, dass es den Tag nicht ohne die Nacht gibt, das Frohsein nicht ohne die Tränen, die Erlösung nicht ohne die Schuld.
Adventszeit ist Wartezeit auf das Heil, das kommt;
ist Besinnungszeit; ein Insichgehen – eine Besinnung auch auf die eigene Rolle bei alle dem Schrecklichen, das uns umgibt.

Adventszeit ist Bußzeit – Zeit der Umkehr zu dem hin, der uns entgegenkommt.

 

Auch unter normalen Umständen ist der Advent ja für viele keine Zeit der Vorfreude.

Ich denke da an trauernde Menschen die in diesem Jahr zum ersten Mal Weihnachten feiern müssen ohne ihren geliebten Menschen.

Oder an die Menschen, die im Streit mit ihrer Familie liegen, bei denen Versöhnung in weiter Ferne liegt und die nun mit Schrecken an das „Fest der Liebe“ denken.

Ich denke an die Menschen, die gerade erst von einer schweren Krankheit erfahren haben und nicht wissen wie es weitergeht.

Oder an die Menschen, die allein sind und denen ihre Einsamkeit besonders an Weihnachten schmerzhaft bewusst wird - alle Jahre wieder.

Oder an die Menschen, die unzufrieden sind mit sich selbst und ihrem Leben und nicht wissen, wie sie sich oder andere annehmen können…

Diese Reihe könnte fortgesetzt werden und sie zeigt: Nicht für alle Menschen ist der Advent eine Zeit der frohen Erwartung.

Vieles ist da immer – auch ohne Covid; doch dieses Virus funktioniert auch hier wie ein Katalysator.

Die innere, seelische Dunkelheit tritt in diesen Tagen besonders hervor.
Die Klage hat Konjunktur.

 

Der Advent kann dann aber auch zu einer Zeit des intensiven Wartens werden; darauf, dass sich etwas ändern, dass das Leben neu wird, dass die Nacht schwindet.

Wir Christen hoffen auf Erlösung, natürlich auch unterm Jahr.

Doch im Advent verdichtet sich unsere Hoffnung auf das Christfesthin, weil der Erlöser naht.


Um die Klage von Menschen, die in genauso einer, manchmal verzweifelten Situation sind, geht es heute im Predigttext.

Da klagen Menschen, die ihre Heimat verloren haben, ihre Mitte und ihr geistliches Zentrum, die nicht mehr zurecht kommen mit ihrer sie bedrängenden Wirklichkeit.

Es sind Menschen, die sich von Gott verlassen fühlen, vom Leben selbst vergessen.

Der Prophet Jesaja hat ihnen seine Stimme geliehen und der Ruf in ihrer Klage „Wo ist nun, Gott, deine Macht?“ ist bis heute nicht verstummt.

Es sind die Menschen vom Volk Israel, die verschleppt wurden in ein fremdes Land, die ihre getöteten Freunde und Verwandten zu betrauern haben und die darüber hinaus miterleben mussten, wie der Tempel in Jerusalem zerstört wurde.

Beim Propheten Jesaja ist die Klage darüber, die Gott direkt anspricht, aufgeschrieben: Ich lese uns Jes 63,13-Jes 64,3:
(63,15) So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner Heiligen, herrlichen Wohnung!
Wo ist nun dein Eifer und deine Macht?
Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.
(16) Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht.
Du, Herr, bist unser Vater; „Unser Erlöser“, das ist von alters her dein Name.

(17) Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten?
Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind!
(18) Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten.
(19a) Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde.
(19b) Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen,
(64,1) wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müssten,
(2) wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten – und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! -
(3) und das man von alters her nicht vernommen hat.
Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der sowohl tut denen, die auf ihn harren.

 

So, liebe Gemeinde, klagen Menschen, die sich von Gott verlassen fühlen und die dennoch an Gott festhalten.

So klagen Menschen, die in ihrer Klage die Hoffnung nicht aufgegeben haben.

Es ist eine Klage die weiterführt, die Gott und dem Leben noch etwas zutraut;
eine Klage die sein muss, die sich Luft machen muss, die ausspricht, was das Herz zu sprengen droht.

 

Diese Klage resigniert nicht; sie nimmt das Schicksal nicht kampflos an, nach dem Motto: Es ist eben Gottes Wille.

Und - diese Klage erliegt auch nicht der Versuchung das unerklärliche Leid erklären zu wollen; man kann nicht erklären, was nicht zu erklären ist.

Die Antwort auf die Frage nach dem Warum, „Warum gerade ich!“, „Warum wir?“ „Warum so schlimm?“ muss vor Gott eine offene Frage bleiben.

 

Und dennoch: Unsere Klage darf sein, damals wie heute.

Wir dürfen Gott in den Ohren liegen.

Wir sollen wissen, dass wir Gott schon längst am Herzen liegen, auch wenn wir das manchmal nicht merken.

Unser Glaube wird herausgefordert: Vertraue auf Gott!

Vertraue, dass er einen Plan hat.

Vertraue, dass er das Gute für die will und dich dahin leitet.

Erwarten wir von ihm, dass sich etwas ändert, dass er aus dem Bösestem Gutes neu erschaffen kann.

In dieser glaubenden Erwartung drückt sich eine Sehnsucht aus, die unsere Erfahrung übersteigt;
die ein wirksames Mittel ist gegen Resignation ist.

Wenn wir Gott unser Leid klagen, wächst damit also auch die Hoffnung, wie die Nacht, die schon den neuen Tag in sich trägt.

Wie die Klage zur Hoffnung führen kann, können wir von Jesaja und seiner Klage lernen.


Da ist zuerst die Bitte: Sieh dir das an, Gott, schau vom Himmel herab, aus deiner heiligen Wohnung.

Zerreiß den Himmel und komm zu uns und sorge wieder für Ordnung und Gerechtigkeit.

Wende dein Antlitz uns wieder freundlich zu, lass leuchten dein Antlitz über uns.

Bitten gehört zum Glauben untrennbar dazu.

Bittend verlassen wir uns auf Gott und bringen Belastendes vor ihn.

Ein Glaube, der nicht mehr bittet, traut Gott nichts mehr zu.

Bitten ist Ausdruck der Hoffnung und der Sehnsucht, dass Gott und sein Reich zu uns kommen, dass Leben neu werden kann.

 

Und dann steht da die Klage selbst.

Sie beschreibt die Situation.

Wir haben dich und deine guten Wege, Gott, verlassen, aber warum lässt du das zu?

Guck dir das an, wie dein dir bestimmtes Volk vertrieben worden ist und wie dein Heiligtum zerstört wurde.

Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.

Fast schon könnte man meinen, du hättest nie mit uns zu tun gehabt, wir wären nie dein Volk, deine geliebten Geschöpfe gewesen.

Diese Klage hat befreiende Kraft. wer so fragt und klagt sucht Orientierung und Wegmarken, an denen sich das Leben neu ausrichten lässt.

Wenn wir auf das Klagen verzichten, dann geben den Protest im Namen Gottes auf; dann lassen wir uns mit Sätzen abspeisen: Das ist eben so!
Ja, wir nennen uns „Protestanten“ und „Protestantinnen“.
Wenn wir nicht mehr klagen und Gott bitten, finden wir uns mit der Dunkelheit ab; dann geben wir den zerstörerischen Mächten dieser Welt recht;
dann verlieren wir die Vorfreude auf den anbrechenden Morgen – obwohl wir den Funken der Erinnerung in uns tragen.

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Die Erinnerung ist das dritte Element im Bunde mit Bitte und Klage: Du Gott bist doch unser Vater, unser Erlöser, so ist von alters her dein Name, du kannst doch Dinge wie Feuer oder Wasser verändern. Wir wissen doch, dass du denen wohltust, die auf dich harren, die auf dich warten, die Erlösung und Veränderung von dir erwarten.

Das Volk Israel erinnert Gott und sich selbst an seine Verheißung, an seine Zusage, da zu sein und mit uns zu sein, daran, dass er wie ein guter und liebevoller Vater mit uns umgehen will, dass er unser Erlöser ist.

So auch wir: Erinnern wir uns selbst und erinnern wir Gott wieder daran, dass wir getauft sind und zu seinem heiligen Volk gehören – trotz allem.

 

Liegen wir Gott in den Ohren mit unserem Klagen, Bitten und Erinnern.
Bitte, Klage und Erinnerung helfen uns, nicht in der Dunkelheit zu versinken und die Traurigkeit, das Schwere und das Leid unseres Lebens nicht resignierend hinzunehmen.

Bitte, Klage und Erinnerung verbinden uns vielmehr mit der Kraft, die unserem Leben Hoffnung gibt - trotz allem.

So werden wir zu adventlichen Menschen;
Menschen die warten, dass Gott den Himmel zerreißt, weil wir von Gott das Heil erwarten.

 

Advent: warten auf Weihnachten, erwarten, dass Gott sein Versprechen wahr macht und den Himmel zerreißt; dass er auf die Erde kommt um Mensch unter uns Menschen zu sein und uns zu helfen.

Advent: warten und erinnern, dass die Nacht schon im Schwinden ist und ausgespielt hat; dass das Kind in der Krippe von Bethlehem auch meine Angst und mein Leid mit Licht, Hoffnung und Kraft erfüllen will. Amen.

 

Der Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.