17.10.2021 - Zur Heiligung berufen - Predigt zu 1. Thessalonicher 4,1-8 am 20. Sonntag nach Trinitatis von Pfarrer R. Koller

Wie soll ich leben? - Das ist die Frage dieses Sonntags. Oder, wie Jesus vielleicht gesagt hätte: Wie kann ich leben? Also: Wie lebe ich so, dass ich mein Leben - eben das, was im Kern Leben heißt - nicht verfehle?

Zahlreich sind die Antworten in der Bibel, und einige dieser Antworten sind das Rahmengerüst des heutigen Sonntags: Der Wochenpsalm 119 spricht von der Weisung Gottes, die wir in seinem Gesetz haben - und der Freude daran! Die alttestamentliche Lesung von Noah nennt die Grundlage allen Lebens - die Treue Gottes! Und im Evangelium des Sonntags Mk. 2, 23-28 zeigt Jesus, wofür die Gebote Gottes da sind – für den Menschen und eben nicht umgekehrt!

Der Apostel Paulus hingegen der zeigt uns in seinem ersten Brief an die Christen in Thessaloniki, wie so ein Leben möglich ist: weil der Geist Gottes in uns wirkt.

1. Thessalonicher 4,1-8:

1 Weiter, liebe Brüder, bitten und ermahnen wir euch in dem Herrn Jesus, da ihr von uns empfangen habt,

wie ihr leben sollt, um Gott zu gefallen, was ihr ja auch tut -, dass ihr darin immer vollkommener werdet.

2 Denn ihr wisst, welche Gebote wir euch gegeben haben durch den Herrn Jesus.

3 Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, dass ihr meidet die Unzucht

4 und ein jeder von euch seine eigene Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung,

5 nicht in gieriger Lust wie die Heiden, die von Gott nichts wissen.

6 Niemand gehe zu weit und übervorteile seinen Bruder im Handel; denn der Herr ist ein Richter über das alles, wie wir euch schon früher gesagt und bezeugt haben.

7 Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung.

8 Wer das nun verachtet, der verachtet nicht Menschen, sondern Gott, der seinen heiligen Geist in euch gibt.

Das Stichwort, das ich in diesen Sätzen am deutlichsten höre, ist „Heiligung“. Dazu hat uns Gott berufen! Was sagt mir dieses Wort „Heiligung“?

Ein Kollege von mir erklärte dieses Wort mit dem Satz: Wir sind nicht Heilige, wir sind Geheiligte. Also: Es geht nicht um wie auch immer abgestufte Formen des Christseins, sondern es kommt darauf an, was Gott in uns wirkt. Und genau das meint der Apostel mit „Heiligung“. Wir sind berufen zur „Heiligung“ - weil Gott seinen Geist in uns gibt.

Das ist die Grundlage christlichen Lebens. So sagt Paulus, dazu sind wir berufen. Es ist das Geschenk Gottes an uns - und unsere Aufgabe!

Paulus macht das konkret. Er nennt Beispiele: Sex und geschäftliches Handeln. Da wird deutlich, wie wir mit dieser Berufung Gottes umgehen sollen: einfach indem wir den anderen nicht benutzen oder übervorteilen.

Paulus spricht das an, was unser ganzes Christsein als Konflikt umgreift: Uns ist alles geschenkt! Und trotzdem ist dieses Geschenk gleichzeitig Aufgabe und Herausforderung.

Wir brauchen nicht mehr über Messlatten zu springen - und können gleichzeitig zu kurz springen.

Mit der Taufe ist schon alles passiert! Und gleichzeitig ist sie erst der Anfang!

Der Heilige Geist wirkt in uns! Und gleichzeitig ist dieses Wirken ein Werden!

Eben diese Spannung, diesen Prozess nennt der Apostel „Heiligung“!

Und wie greift der Heilige Geist in meinem Leben Raum?

Liedmelodie „Wie soll ich dich empfangen“ (EG11)

„Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligung.“ Heiligung ist der Gegensatz zu unrein, ist also Reinheit. Rein und unrein, das konnte man im alten Israel nicht nur im Kopf, sondern geradezu körperlich und räumlich trennen. Heilig, das war der Tempel, das Heiligtum. Also so etwas wie Gottes Zuhause.

Geheiligt kann man daher so übersetzen: Da bin ich bei Gott zu Hause. Und da verhalte ich mich auch so, dass ich nicht gegen seine Gastfreundschaft verstoße.

Gerade den Pharisäern zurzeit Jesu war es wichtig, ihren Glauben überall im Land und nicht nur nahe beim Tempel in Jerusalem leben zu können. Deswegen waren ihnen die Fragen nach Reinheit und Unreinheit so wichtig! In den Konfliktgeschichten mit Jesus tauchen diese Fragen ja oft genug auf.

Interessant ist, dass sich bei den Pharisäern die Frage in gewisser Weise umdreht, wie ich der Gastfreund-schaft Gottes entsprechen kann, wenn ich weitab vom Tempel irgendwo auf dem Land in Israel lebe. Denn da, um in diesem Bild zu bleiben, kehrt Gott ja bei mir ein. Dann ist die Frage nämlich: Wie kann sich Gott bei mir „wohlfühlen“? Wie kann ich ein guter Gastgeber sein? Wie kann ich mein Leben so in Reinheit leben, dass Gott sich bei mir wohlfühlt? Denn unrein ist nicht nur der Gegensatz zu rein, sondern auch der Gegensatz zu göttlich.

Ich erzähle das, weil dieser Blick auf Gott und die Welt den Paulus zutiefst geprägt hat, als er noch der Saulus war, das heißt Schüler des strengsten Rabbi, Rabbi Gamaliel in Jerusalem, und leidenschaftlicher Pharisäer.

Gott kehrt mit seinem Geist bei mir ein. Ein hoher Gast, der hohe Ansprüche stellt. Ich freue mich über diesen Gast, der Heimat bei mir haben will. Aber ich muss ihm auch ein guter, das heißt: angemessener Gastgeber sein. Mit Leib und Seele biete ich Gott Herberge. Deshalb gibt es auch keinen Bereich meines Lebens, der von den Ansprüchen meines Gastes ausgeschlossen ist. – Das ist die Perspektive des Apostels!

Deshalb sind die Beispiele des Paulus auch beliebig verlängerbar. Überall da, wo menschliche Gier, Habgier und Egoismus mit der Weisung Gottes in Konflikt geraten.

Der Gedanke der Einwohnung Gottes in den Menschen wird freilich zu einer bloß romantischen Idee, zu einem leeren Gedankenspiel, wenn die ungeheure Dynamik dieses Geschehens – oder muss man nicht besser sagen: dieses Prozesses - ausgeblendet wird. Denn wo Gott als Gast bei einem Menschen einkehrt, da ist er auch – sagen wir mal freundlich: gleichzeitig das Zimmermädchen in dieser Herberge. Putzt das Zimmer, bezieht die Betten, stellt die Blumen auf den Tisch… es ist Gott selbst der, heiligt!

Und auch wir sind nicht heilig, sondern werden geheiligt. Unsere Aufgabe? Wahrscheinlich vor allem: offen sein, wahrnehmend sein - und dem Zimmermädchen nicht im Wege stehen!

Liedmelodie: Zieh ein zu deinen Toren (EG 133)

Später, im seinem zweiten Brief an die Christen in Korinth, wird Paulus das Geschehen der Einwohnung Gottes in den Menschen in einen größeren Zusammenhang stellen, wenn er im 4.Kapitel schreibt: „Gott, der sprach: ‚Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten‘, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes, in dem Angesicht Jesu Christi.“ (2. Kor. 4,6).

Es geht um die Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes!

Die Auferweckung Jesu von den Toten ist der helle Schein in unseren Herzen, jener Verwandlungsprozess des Lebens, der Heiligung heißt, und der unserem Gottvertrauen, unserer Liebeskraft und unserem Hoffnungsvermögen immer mehr Raum verschafft. Das ist Geschenk und zugleich lebenslange persönliche Aufgabe eines Christen.

Aber nur so, sagt Paulus, werden wir zu Botschaftern des Evangeliums für die Welt. Nur so sind wir glaubwürdige Zeugen eines liebenden Gottes. Nur als die Jesus Christus Nachfolgenden entsteht durch und an uns Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes, in dem Angesicht Jesu Christi.

Amen.