01.08.2021 - Eigentlich werden - Prdigt zu Mt. 7, 24-27 am 9. Sonntag nach Trinitatis von Pfarrer R. Koller

Eine Postkarte zeigt ein Kaninchen neben einem Spiegel. Es hat eine Ringelblume hinter dem Ohr. Blickt man auf den Spiegel, sieht man das Kaninchen von der anderen Seite, und man meint, das Kaninchen lächeln zu sehen. Zitat darunter: „Eigentlich bin ich ganz anders. Nur komme ich so selten dazu.“

Eigentlich bin ich ganz anders. Eigentlich will ich anders sein. Im Einklang mit mir und der Welt, im Einklang auch mit Gott...- Aber mir fehlt die Zeit. Andere nehmen sie in Anspruch. Zwingen mich, anders zu sein, als ich sein will.

Überall kann man das hören. In Familien, bei der Arbeit, in Stammkneipen, in Gesprächen mit Freunden.
So äußert sich Zweifel, Unzufriedenheit, ja manchmal auch Ärger mit dem eigenen Leben - denn eigentlich möchte man sich lieber eine Blume hinter das Ohr stecken und lächeln.

Aber es ist eben nicht gewollt: Kinder statt Karriere, Familie statt Alterseinsamkeit, Brettspiele statt Handyspiele, Einigung statt Anwalt, gemeinsam kochen statt schnell zu McDonalds, Schuluniformen statt Marken-Diktat von Diesel oder Nike, Kinderlärm statt Wellness-Urlaub in der Karibik.

Es ist nicht gewollt: Reparieren statt wegwerfen, Fürsorge statt Vorsorge, miteinander statt nebeneinander, Gnade vor Recht, Liebe vor Gesetzlichkeit, selbst in Politikern Menschen sehen, in Linken oder gar Rechten, Herz und Vernunft regieren lassen statt des Geldes. - Es ist nicht gewollt!

Die Gesellschaft will es anders. Die anderen machen es doch auch so, und man will eben nicht außen vor bleiben. Schuld sind die Verhältnisse, schuld ist die Politik. Hast du was, dann bist du was. Das wollen die Verhältnisse. So ist es gewollt.

Von wem eigentlich? Wie heißt der Zeit-Geist? Wem beugt man sich? Welcher Herrscher, welcher Gott be-fiehlt, so dass man folgen müsste ohne Gegenwehr? Die Gesellschaft? Die Verhältnisse? Das Geld?

Eine alte Frage. Fast so alt wie die Menschheit. Und von der Antwort auf diese Frage hängt es ab: das Leben. Auch wenn Handyspiele, Wellnessurlaub in der Karibik oder Fastfood bei McDonalds und Co. zu Jesu Zeiten noch nicht erfunden waren - auch damals hätten sich die meisten lieber eine Blume hinter das Ohr gesteckt - und gelächelt. Aber die Verhältnisse wollten es auch damals anders.

Jesus hat einen klaren Blick dafür. Aber noch klarer sieht er, wie es anders geht: wie Menschen zu sich kommen, wie Lebensglück zu finden ist und wo Seligkeit sich einstellt. Und davon spricht er zu den Menschen, auf einem Berg stehend, dass ihn auch alle hören können:

Wer ist denn wirklich selig?

  • Es sind doch die, die ihre Armut vor Gott begriffen haben und sie bekennen.
  • Die Sanftmütigen und die, deren Gerechtigkeitssinn nicht bestechlich ist.
  • Diejenigen, die begriffen haben: Es kommt nicht darauf an, wer Recht hat, sondern wer Frieden macht.

Die finden ihr Lebens- Glück, die kann man selig preisen!

Was kann helfen zur Seligkeit? Gebote können helfen im Leben. Sie nutzen aber nichts, wenn es lediglich um die Befolgung des Wortlautes geht. Denn Worte sind oft doppelsinnig, auslegbar, gar missverständlich. Aber sie helfen, wenn der Geist der Gebote und die Beziehung zu den Mitmenschen die erste Rolle spielen. Wenn sie also lebens- und gemeinschaftsförderlich werden. Dann helfen Gebote im Leben.

Das Beten kann dabei helfen. Denn Beten geschieht da recht, wo es nicht zuerst um mich, sondern um das Wohl der Welt geht. Deshalb lehrt Jesus die Menschen das Vaterunser.

Gott ist eben keine philosophische Größe: Er lebt, er redet und er erwartet unsere Antwort, unsere Bitte und unseren Dank. Er erwartet unser Bemühen, seine Sprache zu lernen. Wenn unsere Sprachlosigkeit Gott gegenüber beendet und gelernt wird, Gottes Stimme zu hören: Dann hilft das Beten.

Es hilft, sich nicht durch den Zeitgeist in die Irre führen zu lassen. Er tut so, als ob seine Wege schön, hell und breit seien. Nichts sei leichter, als sie zu benutzen. Aber: Davon, dass auf einem Weg viele Menschen unterwegs sind, wird er noch lange nicht zu einem guten Weg. Darum geht durch die enge Pforte, sagt Jesus. Es wird so sein, dass der Weg schmal ist. Es wird so sein, dass ihn nur wenige gehen. Aber wenn der Weg zu Gott führt, dann ist er richtig. Es hilft, sich nicht vom Zeitgeist beirren zu lassen.

Es hilft, sich nicht daran zu beteiligen, andere zu verurteilen oder gar zu richten. Das kann Lebensglück zerstören. Das der Beurteilten und das eigene. Denn der Balken im eigenen Auge ist mindestens genauso deutlich zu sehen wie der Splitter im Auge des anderen.

Es hilft, sich irgendwann zu entscheiden, für wen wir leben wollen. Denn niemand kann für zwei Herren leben. Das wird ihn zerreißen und unglücklich machen.

Überhaupt, in allem: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes. Das wird helfen! Sucht euch zuerst einen Schatz im Himmel, dann werdet ihr das Lebensglück finden. An nichts wird es euch dann noch fehlen. Dann werdet ihr selig sein.

Und am Schluss seiner Rede sagt Jesus Mt. 7,24-27:

Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein, denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein, und sein Fall war groß.

Spätestens jetzt wird den Menschen an dem Berg klar- geworden sein: All das, was Jesus bis hierher gesagt hat, ist keine Nebensache gewesen. Nichts, was man hört und gleich wieder vergessen könnte. Spätestens jetzt wird deutlich, dass die Freiheit, die Gott uns Menschen gegeben hat, genutzt werden muss, wenn sie nicht vergeblich geschenkt sein soll. Spätestens jetzt wird deutlich, dass es lebenswichtig ist, sich zu entscheiden, welchen Weg man künftig einschlagen will. Man hat eben nur dieses eine Leben, so zu sein, wie man es wirklich richtig findet. Und keiner von uns weiß, wieviel Zeit ihm dazu bleibt.

Es ging hier um das Fundament. Das Haus, das man daraufstellt, kann einfach oder luxuriös sein. Aber wenn die Winde an den Wänden rütteln oder die Wasser das Haus zu unterspülen suchen - dann entscheidet sich am Fundament, ob das Haus stehen bleibt oder wie ein Kartenhaus zusammenfällt.

Weiter schreibt Matthäus:
„Und es begab sich, als Jesus diese Rede vollendet hatte, dass sich das Volk entsetzte über seine Lehre." So die Lutherübersetzung. Andere übersetzen: Das Volk war tief beeindruckt. Oder: Es war sehr betroffen. Kein Wunder! Niemanden ließ das kalt. Alle spürten: Hier geht es um’s eigene Leben...und ob es ein Leben ist! Hier geht es um etwas, was man unbedingt richtig machen sollte. Hier geht es schlichtweg um‘s Fundament des Lebens, an dem sich Gelingen aber auch Misslingen eines Lebens entscheiden.

Aus den Worten Jesu, wie sie der Evangelist Mt. in der Bergpredigt gesammelt hat, spricht Gottes Geist - der Heilige Geist, der aus der Freiheit kommt und in die Freiheit führt: in die Freiheit, sich nicht regieren zu lassen von äußeren Umständen und gesellschaftlichen Erwartungen, sondern dem Ruf des irdischen Jesus zu einem eigenen, unverwechselbaren Leben zu folgen, Lebenszeit als geschenkte Zeit zu sehen, die einem niemand streitig machen darf; Zeit, um Liebe zu leben und Freundlichkeit; Zeit, sich die Ringelblume hinter das Ohr zu stecken und so zu sein, wie es guttut - uns selbst und allen anderen. Im Gespräch mit Gott zu sein und so notfalls gegen den Strom zu schwimmen. Zuallererst und in allem nach Gottes Reich zu fragen und zu erleben: Genau das habe ich nötig. Mehr nicht. Auf diesem Fundament baue ich hier schon für die Ewigkeit.

Denn die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sind das Fundament, das jedes Lebenshaus trägt.