04.04.2021 - Zeugen gesucht! - Predigt zu Mt. 28, 1-10 am Ostersonntag (Pfr. R. Koller)

Der Herr ist auferstanden! Halleluja! – Er ist wahrhaftig auferstanden! Halleluja!

Mt. 28

1 Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen.

2 Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf.

3 Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee.

4 Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot.

5 Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht.

6 Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat;

7 und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt.

8 Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen.

9 Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder.

10 Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.

Bis heute ist mir die Schilderung von Prof. Georg Kretschmar, Prof. der Kirchengeschichte an der LMU als ich dort Theologie studierte, ganz anschaulich vor Augen: wie er einstmals eine Osternacht in Jerusalem gefeiert hat, unmittelbar am Heiligen Grab! Inmitten einer feiernden Menschenmenge, mit Fackeln, mit Gesängen…- an jenem Grab, das - wie Kyrill, der spätere Bischof von Jerusalem, im 4. Jahrhundert seinen Taufbewerbern erklärte - Zeuge für das ist, wovon der Evangelist Matthäus erzählt und was wir vorhin gehört bzw. gelesen haben.

Der gleiche Professor war dann am 24. April 1990 bei einer Tschernobyl-Gedenkversammlung im großen Sportstadion von Minsk, in den Ostertagen, noch in der Umbruchszeit, bei einer Versammlung, die – so erzählt er - unversehens zum Gottesdienst wurde: Als letzter von vielen Rednern sprach der Metropolit Filaret von Minsk - zum ersten Mal vor einer so großen Öffentlichkeit. Er grüßte die Versammlung mit dem alten Ostergruß der Christenheit: Christus ist auferstanden! Den hatten die Menschen seit Jahrzehnten nicht mehr gehört. Entsprechend zögerlich war die Antwort. Er ist wahrhaftig auferstanden! - aus einer Ecke kam sogar Widerspruch.

Aber beim zweiten Grußaustausch waren die Stimmen schon lauter. Und beim dritten antwortete schließlich die große Menge.

Gott allein weiß, wer unter den vielen, die nun einstimmten, zu den Glaubenden zu zählen waren. Aber sie stimmten doch ein in das grundlegende Glaubensbekenntnis der Christen und damit auch in den Osterjubel.

Beide Erzählungen verdeutlichen für mich die beiden Pole eines jeden Ostergottesdienstes: Zum einen das Gedächtnis des Ursprungs, der Auferstehung Jesu Christi aus dem Grabe in der Geschichte! Und zum anderen das Gedächtnis des Ziels im Glauben an den dreieinigen Gott, der Jesus Christus nicht im Tode ließ und uns den Weg zum ewigen Leben aufgeschlossen hat, das alle geschichtlichen Möglichkeiten und menschlichen Vorstellungen übersteigt.

Auf diesen Weg vom Ursprung hin zum Glauben will uns der Evangelist Matthäus heute führen! Und auf diesem Weg steht er auch selbst.

Die vier Evangelien erzählen die Wunder des Ostergeschehens ja in je eigener Weise mit eigenen Akzenten. Aber immer geht es darum, wie die Osterzeugen vom Schauen und Hören zum Glauben kommen. Immer sind die ersten Zeugen Frauen. Und eigentlich immer entsteht der Osterglaube nicht durch das, was die Frauen sehen oder hören, sondern erst in der Begegnung mit dem auferstandenen Herrn selbst.

Matthäus weiß zu berichten, dass die Frauen auf dem Wege zurück vom Stein vor dem Grab den Auferstandenen treffen, vor ihm niederfallen und seine Füße umfassen. Er bestätigt ihnen den Auftrag des Engels. Dass sie jetzt voller Freude zu den Brüdern, den Jüngern eilen, versteht sich von selbst, es wird von Mt. gar nicht mehr festgehalten.

Das (ca. 20 Jahre ältere) Markusevangelium wusste von dieser Begegnung noch nichts. Und so sind die Frauen trotz des leeren Grabes und trotz der unglaublichen Engelsbotschaft nur zutiefst verstört! Der Evangelist schreibt von Zittern und Entsetzen. „Sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich sehr“ (Mk. 16, 8).

Auch nach dem Lukas-Evangelium brachten die Berichte der Frauen nur zusätzliche Verwirrung, nicht Freude (Lk. 24, 20f.).

Es ist doch auch etwas gänzlich Unglaubwürdiges, aller unsrer Erfahrung Widersprechendes, dass ein Toter wieder lebendig wird! - Doch schon diese Beschreibung des Geschehens ist ungenau!

Die Evangelien berichten in der Tat von Totenerweckungen: Der Jüngling von Nain (Lk. 7, 11-17) lag im Sarg und wurde zu Grabe getragen. Jesus ruft ihm zu: „Stehe auf!“ Und er stand auf. Und der Mutter, einer Witwe, war ihr einziger Beistand wiedergegeben.

Hier kann man sagen, ein Toter wurde wieder lebendig. Aber natürlich sind später Mutter und Sohn gestorben, wie es jedem Menschen bevorsteht.

Mit der Auferstehung Jesu verhält es sich anders! Er kehrt nicht in das normale, vorherige Leben zurück, sondern zeigt sich einigen seiner Anhänger. Und ausnahmsweise auch solchen, die nicht seine Anhänger waren, aber nun als Sendboten berufen werden wie Jakobus, der Bruder von Jesus, und Saulus aus Tarsus, der spätere Paulus!

Der auferstandene Jesus gehört bereits zum ewigen Leben, in dem es keinen Tod mehr gibt!

Solches Leben erwarteten viele der Frommen zur Zeit Jesu am Ende der Geschichte, am Jüngsten Tage, wenn Gott die Toten aus ihren Gräbern erwecken wird, dass sie aufstehen.

Und eben mit dem Wort, das diese Hoffnung, ja Erwartung, bezeichnet, beschreiben die Evangelien und der Apostel Paulus das, was geschehen ist: Auferstehung! „Er ist nicht hier, Er ist auferstanden“, verkündigt der Engel den Frauen (Mt. 28,6).

Auferstehung weist immer auf das Grab zurück. Aber natürlich ist das leere Grab kein Beweis - es hat ja auch damals nichts bewiesen, sondern nur Verwirrung bereitet und Gerüchte erzeugt. Beim Evangelisten Matthäus sehen die Frauen ja anscheinend nicht einmal das leere Grab, sie gehen nicht hinein, sie sehen nur den Engel.

Letztendlich ist die Auferstehung Jesu noch mehr als dass einer von uns Menschen vor allen anderen zum ewigen Leben hindurchgedrungen ist.

Sie ist Gottes endgültiges „Ja“ zum Leben und Sterben des Jesus von Nazareth! Er, zu dem Gott bei der Taufe im Jordan gesagt hat „Du bist mein lieber Sohn, an Dir habe ich Wohlgefallen“ (Mk. 1, 11), der wird durch die Auferweckung von den Toten als Gottes Sohn bestätigt – sitzend zur Rechten Gottes!

Das Grab, das Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert aus der Felswand heraushauen ließ, und den schweren Rollstein, der den Frauen solche Sorge bereitete, haben die Perser zerstört, als sie 614 Jerusalem eroberten. Das heutige Grab ist ein Memorialbau. Aber auch von ihm gilt noch, was Kyrill von Jerusalem von dem originalen Monument sagte: Es steht „zum Zeugnis“ für den Sieg des Sohnes Gottes über den Tod und den Anfang unserer Vollendung.

Damit habe ich mit meinen Worten etwas zu dem gesagt, was damals geschah. Aber was geschah denn wirklich?

Wir haben nur die Berichte der Evangelien, in denen sich unterschiedlich niedergeschlagen hat, was die Frauen damals erzählt haben - Jahrzehnte hindurch mündlich weitergegeben, ehe die Evangelisten es niederschrieben und deuteten. Da kann man manches rekonstruieren. Aber es geht nicht darum, ob die Frauen einen oder zwei Engel sahen, ob sie ins Grab hineingingen oder nicht. Wenn wir fragen, was wirklich geschah, fragen wir nach der Wahrheit der Auferstehung Jesu Christi.

Dann ist es gut, den Ostererfahrungen zu entnehmen, dass das Widerfahrnis der Frauen über sich hinausweist, „Gehet hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen, dort werden sie mich sehen“ (28, 10).

Der Osterglaube ist nicht die private Entdeckung von Einzelnen, er ist der Glaube der Kirche! Sicher, am Anfang stehen die Frauen, die Schwestern. Ostern ist der Frauentag der Kirche. Aber die Schwestern müssen es den Brüdern berichten. Aus der Gemeinschaft der Osterzeugen, Frauen und Männern, entsteht die Kirche Jesu Christi.

Zu Zeugen werden die Jünger in der Begegnung mit dem Auferstandenen selbst - nach dem Matthäus-Evangelium auf dem Berg in Galiläa, den es ja in der Landschaft gibt, der aber zugleich so etwas wie ein Symbol für Gottes Offenbarung ist wie der Berg Sinai, an dem das Gesetz verkündet wurde.

Dem entspricht die Begegnung mit dem Auferstandenen. Und sie ist nicht in erster Linie Selbstoffenbarung: Schaut her, ich lebe! Nein, im Mittelpunkt steht ein Auftrag, steht die Sendung - Wie schon bei den Frauen, die zu den Jüngern mit einer Botschaft gesandt wurden.

Die Auferstehung Jesu Christ sprengt unsere Erfahrungen und Weltbilder auf. Sie ist eine Wahrheit des Glaubens. Sicher hängt dieser Glaube am Zeugnis der ersten Zeugen. Es geht um den Glauben der Kirche. Aber letztlich geht es auch um meinen Glauben!

Wir wissen alle, dass Juri Gagarin, als er als erster Mensch ins All flog, dort keine Engel gesehen hat. Das hat er ja danach ausführlich erzählt. Aber vielleicht hatte Gott ihm einen Schutzengel beigegeben, der ihn damals sicher zur Erde zurückführte.

Um die Wahrheit zu sehen, muss Gott uns die Augen öffnen. Begegnung mit dem Auferstandenen, das ist mehr als die Begegnung mit einem Engel. Und sie ereignet sich heute für uns anders als für die Frauen damals, für Petrus und für Paulus, für alle Jünger.

Allein im Glauben wissen wir, dass er, der Auferstandene, unser Herr und Heiland ist. Allein in dieser Gewissheit ist der lebendige Christus selbst unter uns anwesend! So hat es gerade Martin Luther gelehrt.

Glaube ist Begegnung mit dem lebendigen Christus. Sie kann mir plötzlich geschenkt werden, sie kann aber auch langsam wachsen und reifen.

Vielleicht geht ja das Einstimmen in den Glauben der Kirche der eigenen Gewissheit voraus – ein Grund, weshalb in unserer evangelischen Kirche unsere Kinder im Präparanden- bzw. Konfirmandenunterricht das Vaterunser, das Glaubensbekenntnis und anderes auswendig lernen.

Aber immer wird auch heute zum Glauben gehören, dass ich erfahre, Christus hat mir einen Auftrag gegeben. Auch ich bin gerufen, Zeuge des Wunders der Auferstehung inmitten dieser vergänglichen Welt des Todes zu sein!

Ja, Christus ist auferstanden! – Er ist wahrhaftig auferstanden!