03.01.2021 - "Wir dürfen zunehmen - im Glauben!" - Predigt am 2. Sonntag nach dem Christfest zu Lukas 2,41-52 (Pfr. Fischer)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Wir hören das Predigtwort aus dem Lukasevangelium im 2. Kapitel:

Jesu Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest.

Und als er zwölf Jahre alt war, gingen sie hinauf nach dem Brauch des Festes.

Und als die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der Knabe Jesus in Jerusalem, und seine Eltern wussten’s nicht.

Sie meinten aber, er wäre unter den Gefährten, und kamen eine Tagereise weit und suchten ihn unter den Verwandten und Bekannten.

Und da sie ihn nicht fanden, gingen sie wieder nach Jerusalem und suchten ihn.

Und es begab sich nach drei Tagen, da fanden sie ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Lehrern, wie er ihnen zuhörte und sie fragte.

Und alle, die ihm zuhörten, verwunderten sich über seinen Verstand und seine Antworten.

Und als sie ihn sahen, entsetzten sie sich. Und seine Mutter sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du das getan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.

Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?

Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte.

Und er ging mit ihnen hinab und kam nach Nazareth und war ihnen Untertan.

Und seine Mutter behielt alle diese Worte in ihrem Herzen.

Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei

Gott und den Menschen.

 

Liebe Gemeinde,

woher kommt eigentlich der Glaube?

Wie kommt es dazu, dass sie und ich heute Morgen im Gottesdienst sind; dass mir das Alles wichtig ist: Beten, Singen, Gottes Wort hören?

Jeder von uns hat da seine eigene Lebensgeschichte.

Und ich vermute, dass sie bei jedem ganz anders aussieht.

Vielleicht erinnern sich die einen nur ganz schwach daran, wie alles angefangen hat.

Damals in den Zeiten des Krieges, mit den Geschwistern, bei der Arbeit oder abends in der Stube.

Vielleicht ist bei anderen die Erinnerung stärker: Ja, damals in der Konfirmandenzeit, der Religionsunterricht, die Jugendgruppe, die biblischen Geschichten, die mir meine Oma erzählt hat.

Und bestimmt sind unter uns auch diejenigen, die sich noch oder nicht mehr sicher sind über ihren Glauben.

Die noch oder wieder am Anfang stehen.

Wenn der Glaube anfängt, lässt sich meist nur schwer an äußeren Geschehnissen festmachen.

Ein Bekehrungserlebnis wie der Apostel Paulus es gehabt hat, bleibt eher die Ausnahme.

Ich denke da vor allem an die Konfirmation.

Das lateinische „confirmare“ heißt übersetzt: „bestätigen“ – „festmachen“: Mit ihrem "Ja" vor der Gemeinde bestätigen die Konfirmanden ihren Glauben.

Wenn ich mich an meine eigene Konfirmation zurückerinnere, dann war mein „Ja“ kein fertiges Ja.

Da sind noch viele offene Fragen mitgeschwungen - zum Teil auch Zweifel.

Heute bin ich über 39 Jahre älter und ich kann immer noch nicht sagen, dass mein Glaube fertig ist.

Mein Ja ist zwar überzeugter und fester geworden.

Vieles hat sich geklärt und lässt sich nicht mehr so leicht erschüttern.

Und doch bleibt da auch ein Rest, der für mich immer wieder spannend ist.

Da gibt es noch Neues mit meinem Glauben zu erleben.

Da gibt es auch immer noch Dinge, die ich wieder neu annehmen muss.

Unser Glaube ist in Bewegung.

Einmal ganz fest und groß - andere überzeugend und ansteckend.

Dann auch wieder klein und schwach - angefochten und wacklig wie ein Kartenhaus.

Ich denke, es ist deshalb unverzichtbar, nach den Wurzeln des Glaubens zu fragen.

Denn unser Glaube ist wie eine Pflanze, die wächst, die gepflegt werden muss und die ihre Wurzeln braucht, damit sie leben kann.

Ich bin froh, dass unser heutiges Evangelium vom zwölfjährigen Jesus erzählt.

Es ist die einzige Geschichte in den Evangelien aus seiner Jugendzeit.

Ich halte sie - je mehr ich darüber nachdenke - für eine sehr wichtige Geschichte.

Denn sie zeigt uns Jesus, den Sohn Gottes, als einen, der sich entwickelt, der heranwächst und groß wird - auch im Glauben.

Und ich denke, dass das für uns etwas Tröstliches ist: zu wissen, dass selbst Jesus nicht perfekt auf die Welt gekommen ist, sondern eben als Kind in der Krippe.

Und dass er wie wir auch Zeit gebraucht hat, den eigenen Glauben zu erforschen: Die Suche nach dem Sinn des eigenen Lebens.

Dass Jesus noch nicht am Ende seiner Entwicklung war, verschweigt der Evangelist nicht.

Jesus bereitet zunächst seinen Eltern ziemlichen Kummer.

Und zu Recht nimmt ihn sich seine Mutter zur Brust und wird ihm eine gehörige Standpauke gehalten haben.

Und ich gebe ihr da völlig recht: Es gehört sich nicht, einfach abzuhauen, ohne Bescheid zu geben.

Von einem Zwölfjährigen kann man das erwarten, vor allem dann, wenn sich die Familie einer großen Pilgermenge befindet, in der man leicht den Überblick verlieren kann.

Einige Tage lang versetzt er seine Eltern in Angst und Schrecken. Ich kann mir gut vorstellen, was die Eltern da durchgemacht haben.

Nein - hier hat sich Jesus nicht gerade vorbildlich verhalten.

Was man ihm jedoch zu Gute halten kann, ist der Grund seines Fernbleibens.

Ich denke, er wollte seinen Eltern kein Leid antun; er folgte vielmehr einem inneren Zwang:

„Wisst ihr nicht, dass ich sein muss in dem, was meines Vaters ist?“ hat er seiner Mutter geantwortet.

Da ist ein zwölfjähriger Junge, der langsam erwachsen wird und die Frage nach dem Sinn seines Lebens in sich trägt.

Und er sucht und findet Antwort auf seine Frage bei dem Gott seiner Eltern.

Was kann sich eine Mutter mehr wünschen?

Und ich denke Maria ist es auch so gegangen, wenn sie das auch in ihrem ersten Ärger nicht verstanden hat.

Doch später „behielt alle diese Worte in ihrem Herzen“ heißt es da.

Und auch Jesus scheint begriffen zu haben, dass es nicht so ganz in Ordnung war, wie er sich seinen Eltern gegenüber verhalten hat: Denn er ist mit ihnen nach Nazareth gegangen und war ihnen Untertan; ich könnte auch sagen: Er hat seinen Eltern gefolgt.

Aber das hat Jesus begriffen: Dass Gott selbst die erste Wurzel des Glaubens ist.

Dass er Gott an die erste Stelle setzt.

Martin Luther sagt dazu in seiner Auslegung des dritten Glaubensartikels.

„Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann; sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiligt und erhalten.“

Gott allein ist der Ursprung allen Glaubens. Nicht wir selbst.

Der Glaube ist Gottes Geschenk - kein Mensch kann uns Glauben schenken, und schon gar nicht wir uns selbst.

Den Glauben als Geschenk annehmen - das ist vielleicht das Schwerste am Glauben: Sich ihn schenken zu lassen - ohne gleich eine Gegenleistung anzubieten.

Weihnachten liegt ja noch nicht so weit zurück.

Und vielleicht teilen Sie ja meine Erfahrung: Das Schenken fällt oft leichter als das Beschenktwerden.

Vielleicht hängt das ja am Leistungsdenken.

Man empfindet ein Geschenk, das man empfängt, als Leistung oder als Gegenleistung.

Man errechnet sofort aus dem Geschenk: „Was will er von mir?“ oder: „Was bin ich dem Anderen wert?"

Das Aufrechnen beginnt: Beim nächsten Mal zahle ich es ihm zurück - entweder durch ein kleineres oder durch ein größeres Geschenk - aber beides Mal berechnend.

Das Schenken kann so leicht zum Wettbewerb ausarten.

Der eigentliche Sinn des Schenkens ist aber doch der: dem anderen eine Freude zu machen - und sich selbst auch eine Freude machen zu lassen.

Wie gesagt - das ist schon bei Weihnachtsgeschenken schwer.

Wie ist es dann erst bei einem so kostbaren Geschenk wie dem Glauben?

Auch hier ist die Gefahr des Aufrechnens groß.

Gott schenkt uns den Glauben.

Er tut das freiwillig - denn wer könnte ihn zwingen?

Und er tut das gerne - weil er uns eine Freude machen will.

Und wir sollen uns daran Freuen, dass Gott uns diesen Glauben schenkt, ohne gleich aufzurechnen, was wir Gott dafür leisten müssen - denn was könnten wir Menschlein dem Allmächtigen schon zurückgeben?

Der Glaube ist keine Leistung, den wir uns durch verdienen könnten.

Der Glaube lässt sich nicht nach Zeit und Aufwand berechnen.

Er ist und bleibt Gottes Geschenk an uns - jeden Tag neu.

Ich gehe einen Schritt weiter: Der Glaube ist zwar ein Himmelsgeschenk, aber er fällt nicht einfach vom Himmel.

Der Glaube wird in uns geweckt, indem wir durch

das Evangelium berufen, und mit den Gaben des Heiligen Geistes erleuchtet werden - so beschreibt es Martin Luther.

Das heißt: Der Glaube sucht sich Mittel und Wege zu uns Menschen, die wir verstehen.

Der Glaube wächst durch das Hören auf das Evangelium - Gottes Geist wirkt dort, wo Menschen die frohe Botschaft weitersagen und weitergeben; wo Menschen in Wort und Tat Zeugen ihres Glaubens sind, den sie von Gott geschenkt bekommen haben.

Auch der zwölfjährige Jesus hat Vorbilder im Glauben gebraucht - und das, obwohl er Gottes Sohn war.

In unserem Evangelium werden zunächst die Eltern genannt; von ihnen hat er gelernt.

Warum sie jedes Jahr zum Passafest gehen, was es bedeutet, wie man im Tempel betet usw.

Durch die Eltern und andere Menschen hat Gott gewirkt und so den Glauben bei Jesus geweckt.

Das ist auch noch für uns heute wichtig: Dass Gott auch heute noch Menschen braucht, um den Glauben zu wecken.

Das kann sehr verschieden aussehen. Wichtig ist dabei, dass wir uns gegenseitig Vorbilder sind im Glauben.

Ich denke da an die Großmutter, die dem Enkel biblische Geschichten erzählt; oder den Vater, der seinem Kind erklärt, was den heute für ein Feiertag ist; oder das gemeinsame Gebet vor dem Schlafengehen.

Auch der Religions- und der Konfirmandenunterricht gehören dazu.

Aber ohne die Hilfe des Elternhauses geht es nicht aus.

Gerade Kinder und Jugendliche brauchen Vorbilder aus ihrer nächsten Umgebung.

Vorbilder im Glauben und Diener des Evangeliums.

Wie Jesus Lehrer im Glauben gebraucht hat, so brauchen sie vor allem unsere Kinder - aber nicht nur sie - auch wir Erwachsene.

Denn nicht nur Lehrer im Glauben sind wichtig, sondern auch Lerner.

Auch das lässt sich wunderbar am zwölfjährigen Jesus ablesen.

Jesus konnte zuhören.

Er litt nicht unter diesem heillosen Drang, unter dem heute so viele leiden, immer nur selbst reden zu wollen.

Jesus wusste nicht schon alles besser, sondern wollte von denen lernen, die etwas zu sagen hatten über ihren Glauben.

Nicht als naseweisen Frühreifen lernen wir ihn ihr kennen, sondern als jungen Menschen, der durch seine klugen Fragen auffällt; und der dann, weil er zuhört und nachdenkt, auch gute Antworten geben kann.

Immer wieder auf Gottes Wort hören und immer gemeinsam nach Gott fragen - ich denke das ist für uns Christen wichtig - egal wie alt wir sind oder wie fest wir im Glauben stehen.

Immer wieder zurückkehren zu den Wurzeln des Glaubens.

Und immer wieder einander Zeugnis geben, von dem, was wir Glauben.

Unser Glaube ist ein lebenslanger und gemeinsamer Lernweg.

Unser Glaube entwickelt sich, und er ist nie ganz fertig.

Am Ende der Geschichte heißt es: „Und Jesus nahm zu an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.“

Das wünsche ich uns auf unserem gemeinsamen Glaubensweg: Dass auch wir zunehmen an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.

Amen.

 

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.