25.12.2020 - "Leben wie frisch gebadet!" - Predigt am ersten Tag des Christfestes zu Titus 3,4-7 (Pfr. Fischer)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

»Ich bin so knallvergnügt erwacht.

Ich klatsche meine Hüften.

Das Wasser lockt. Die Seife lacht.

Es dürstet mich nach Lüften.

Ein schmuckes Laken macht einen Knicks

Und gratuliert mir zum Baden.

Zwei schwarze Schuhe in blankem Wichs

Betiteln mich „Euer Gnaden“.

Aus meiner tiefsten Seele zieht

Mit Nasenflügelbeben

Ein ungeheurer Appetit

Nach Frühstück und nach Leben.«

Eigentlich ist dieses Gedicht von Joachim Ringelnatz eher ein Ostergedicht.

Leben wie frisch gebadet!

Leben als sei heute der erste Morgen, als läge alles vor und nichts hinter mir.

Nicht von vorn anfangen, aber nach vorne leben ohne die Last des Vergangenen - das wär's doch!

Das ist doch das Auferstehungs-Feeling.

So viel sammelt sich ja an auf dem Lebensweg, setzt sich ab wie Staub und Dreck in den Fugen und Falten meines Lebens.

So vieles, was keine Dusche und keine Sauna, kein Vollbad und keine Wellness-Kur wegbekommen.

So vieles, was ich doch hin und wieder gern ausputzen, rein- und wegwaschen würde.

Ja, das wär's: Leben wie frisch gebadet.

Aber: ohne Ostern gäbe es kein Weihnachten.

Ohne die Auferstehung bräuchten wir uns keine Gedanken darüber zu machen, wer unter welchen Umständen und wozu da in Bethlehem zur Welt gekommen ist.

„Christ, der Retter ist da“ - das singen wir erst seit der Erfahrung des Ostermorgens.

So aber gibt es heute Morgen einen Bibelabschnitt, der es in sich hat, im wahrsten Sinne des Wortes.

In einem Satz fasst dieser Text in theologischer Sprache zusammen, was es mit Weihnachten auf sich hat.

Wir hören Predigtabschnitt aus dem Titusbrief, Kapitel 3, die Verse 4-7:

4 Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilands,

5 machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit - durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geist,

6 den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland,

7 damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.

Freundlichkeit und Menschenliebe, Werke der Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Bad der Wiedergeburt, Heiliger Geist, Heiland, Gnade, Erben des ewigen Lebens, Hoffnung;
Schlag auf Schlag purzeln bedeutungsschwere Begriffe aus unserem Text in die ruhige Szene des weihnachtlichen Geschehens.

Jeder Einzelne bietet genug Stoff für eine ganze Predigt.

Fast wird zugeschüttet, was doch so einfach begann: ein Kind wird geboren - eines wie alle und doch keines wie alle.

Die Hirten erfahren es als Erste, schauen sich die Sache an und erzählen die Geschichte weiter.

Im Herzen will bewegt werden, was da geschieht - so wie Maria es tut.

Und die braucht vermutlich keine komplizierten Begriffe angesichts des Wunders, das da vor ihr in der Krippe oder in ihren Armen liegt.

So einfach beginnt alles, so einfach wie noch der Anfang unseres Textes ist: Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes.

Damit ist doch alles gesagt.

Hier kommt nicht Zorro zur Welt, der Rächer der Enterbten, hier kommt nicht der Terminator, der endzeitliche Vollstrecker, sondern Gott selbst kommt in seiner freundlichen Zuwendung „auf die Erde nieder, wo wir Menschen sind.“

Das klingt zunächst nach der gütigen Herablassung eines Königs.

Wir können es wie ein Bild aus dem Fernsehen vor uns sehen: der Herrscher besucht sein Volk und nimmt die entsprechenden Huldigungen entgegen, lässt sich im offenen Wagen durch die Stadt fahren und erwidert den Jubel der Untertanen mit gemessenem Winken.

Leibwächter sorgen dafür, dass ihm keiner zu nahekommt, der Wagen ist gepanzert zum Schutz gegen Attentäter.

An den Straßen stehen sie Spalier - Fähnchen und wedelnde Arme, Zurufe.

Der König bleibt freundlich und zugleich unnahbar.

Das Bild im Stall ist ein anderes: zwischen den Tieren rücken auch die Menschen dicht an den Retter der Welt heran, so wie sie das im Lauf seines Lebens immer wieder tun werden.

Und er wird sie nah an sich heranlassen.

Er wird es gestatten, dass eine Frau seinen Mantel berührt, dass eine andere ihn salbt, dass Menschen ihn anfassen.

Manchmal wird es ihm zu viel werden und er wird sich zurückziehen für eine Weile.

Aber immer wieder dürfen sie ganz an ihn herankommen bis hin zu jenem Kuss, der ihn ans Kreuz bringen wird.

So bekommen Freundlichkeit und Menschenliebe einen ganz anderen „Touch“ - sie dienen ja nicht der mehr oder weniger glanzvollen Darstellung herrschaftlicher Macht, sondern sie dienen der Rettung des Menschen, unserer Rettung: mit „er hat uns gerettet“ ist wörtlich zu übersetzen, was Martin Luther mit „er machte uns selig“ beschreibt.

Wir sind auf der Seite des Lebens.

Und doch werden wir nicht verstehen, was in jener Nacht geschehen ist, die wir bis heute die Heilige nennen, wenn wir uns nicht immer wieder an die Seite jener stellen, die nach Rettung und nach Erlösung rufen.

Erst wo auch wir unsere „Werke der Gerechtigkeit“ hinter uns lassen, uns beschenken lassen von Gottes Freundlichkeit ohne zu fragen, ob wir das verdient haben, erst da bekommen wir eine Ahnung, dass der Stall zu Bethlehem mehr ist als ein anrührendes Bild, mehr als sentimentales Kino.

Hier geht es um das Ganze der Menschheit!

Und zugleich um das Ganze für jeden Einzelnen von uns, um dich und mich.

Denn Gottes Kommen zur Welt hat nicht nur jenes weltgeschichtliche Datum, das wir mit den Worten markieren „es begab sich aber zu der Zeit ...“, Gottes Kommen hat auch ein Datum in meiner eigenen Lebensgeschichte.

Dort, wo ich selber von meinem „Bad der Wiedergeburt“, also von meiner Taufe reden kann.

Liebe Gemeinde, wenn es nach dem Verfasser des Predigttextes geht, dann darf ich mit Ringelnatz gesprochen „knallvergnügt“ sein über diese göttliche Dusche: übergossen mit Heiligem Geist und getaucht in das Bad der Wiedergeburt.

Solche Bilder entstehen, wo Wasser ein kostbares Gut ist, wo seelischer Staub und alltäglicher Dreck zwei Seiten derselben menschlichen Medaille sind.

An Seife und Shampoo mangelt es uns ja wahrhaftig nicht - eher gelangt viel zu viel davon in unsere Gewässer;
und eher sind wir der ursprünglichen Leiblichkeit entfernt;
alles und jedes kann man mit künstlichen Aromen und Düften überdecken.

Das Menschliche - es schreckt oft ab, lässt mich auf Distanz gehen.

Dass ich jemanden nicht gut riechen kann, ist eine treffende Redewendung und ist zumeist wörtlich wie im übertragenen Sinn zu verstehen.

Der Mensch aber ist nicht klinisch rein - mitunter schwitzt und stinkt er, Blut und Tränen gehören zu ihm - und wollen auch abgewischt werden.

Das geht nicht ohne Nähe.

Wer hält dem stand, flüchtet nicht?

Von vielen Frauen und manchmal auch Männern weiß ich, dass sie diese Nähe und Zuwendung nicht scheuen.

Immer noch werden viel mehr Menschen als wir landläufig glauben, von Angehörigen oder ihnen nahe Stehenden gepflegt.

Und die Arbeit der Profis, der Altenpfleger und Krankenpflegerinnen ist doch meistens auch mehr als nur ein paar technische Handgriffe.

Und viele von denen würden wohl gern mehr Zuwendung weitergeben, wenn ihre Arbeitsbedingungen es zuließen.

Blut, Schweiß und Tränen haben aber auch eine Innenseite: die Tränen der Verzweiflung über etwas Zerbrochenes oder der Angstschweiß.

Da gibt es doch genauso die Sehnsucht nach einem inneren Reinigungsbad.

Reingewaschen werden von seelischem Druck, von der Angst, einen Fehler zu begehen oder vom Gefühl, einem Menschen etwas schuldig geblieben zu sein.

So gehen die Zuwendung zum inneren wie zum äußeren Menschen Hand in Hand.

Liebe Gemeinde, leben wie frisch gebadet, innerlich wie äußerlich - nur wer diese Sehnsucht kennt, ist auf dem Weg nach Bethlehem.

Nur wer das Wort Erlösung auch für sich persönlich gelten lässt, macht sich auf zum Stall.

Inzwischen ist die Nacht dem Morgen gewichen, die Hirten sind von dannen gezogen; zurückbleiben Maria, Josef und das Kind.

Das Licht des neuen Tages beleuchtet eine ganz und gar unromantische Szene.

Noch etwas verschlafen reiben wir uns die Augen, noch etwas berauscht vom Zauber der Heiligen Nacht und doch schon fast bang fragend - ist das denn wirklich wahr?

Euch - uns - ist heute der Heiland geboren?

Ja, es ist wahr.

Es ist die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes erschienen in diesem Kind.

Um unseretwillen.

Gottes Nähe ist unsere Rettung aus den Verstrickungen des Lebens.

Freut euch!

Und erinnert euch miteinander daran, wenn einem oder einer unter euch das Leben schwer wird.

Ihr dürft leben - wie frisch gebadet!

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.