30.08.2020 - "Heilende Blicke" - Predigt zu Apostelgeschichte 3,1-10 am 12. Sonntag nach Trinitatis (Pfr. Fischer)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Wir hören das Predigtwort aus der Apostelgeschichte des Lukas, Kapitel 3, die Verse 1-10:

(1) Petrus und Johannes gingen hinauf in den Tempel um die neunte Stunde, zur Gebetszeit.

(2) Und es wurde ein Mann herbeigetragen, lahm von Mutterleibe; den setzte man täglich vor die Tür des Tempels, die da heißt die Schöne, damit er um Almosen bettelte bei denen, die in den Tempel gingen.

(3) Als er nun Petrus und Johannes sah, wie sie in den Tempel hineingehen wollten, bat er um ein Almosen.

(4) Petrus aber blickte ihn an mit Johannes uns sprach: Sieh uns an!

(5) Und er sah sie an uns wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge.

(6) Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher!

(7) Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest,
(8) er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.

(9) Und es sah ihn alles Volk umhergehen und Gott loben.

(10) Sie erkannten ihn auch, dass er es war, der vor der Schönen Tür des Tempels gesessen und um Almosen gebettelt hatte; und Verwunderung und Entsetzen erfüllte sie über das, was ihm widerfahren war.

Liebe Gemeinde!

Eigentlich ist das eine Geschichte, zu schön um wahr zu sein.

Da wird einer zum Tempel gebracht, damit er um seinen Lebensunterhalt betteln kann.

Einer „normalen“ Arbeit kann er nicht nachgehen, wie die anderen, weil er von Geburt an gelähmt ist.

So wurde er zum Bettler.

Sein Leben lang war er abhängig von anderen, konnte nicht gehen wohin er wollte, musste machen, was die anderen für ihn vorsahen.

Er war in seiner Freiheit beträchtlich eingeschränkt.

Und plötzlich erfährt er Heilung im Namen Jesu.

Aber was hat das eigentlich mit uns zu tun?

Gibt es so was?

Heutzutage erleben wir es selten, bzw. eigentlich gar nicht, dass Lahme einfach so wieder gehen können, dass Blinden neues Augenlicht gegeben wird oder dass Kranke plötzlich wieder gesund werden.

Wenn das geschieht, dann schreiben wir das doch eher der Heilkunst der Ärzte oder den Errungenschaften der modernen Medizin zu.

Aber dennoch hat diese Geschichte etwas mit uns und unserem Glauben zu tun.

Ich möchte jetzt von anderen Lähmungen reden.

Lähmungen, die uns auch bewegungsunfähig machen.

Situationen in denen wir das Gefühl haben, dass wir nichts tun können.

Situationen, die uns alle Kraft nehmen überhaupt zu handeln.

Situationen, die Angst vor jeder neuen Bewegung machen.

Eine schwere Krankheit, Trauer oder Leid trifft manche wie ein Schock und lässt sie bewegungslos zurück.

Einsamkeit, Selbstzweifel oder das Gefühl von Nutzlosigkeit gerade im Alter führen dann häufig in die Depression und lähmen jeden Bewegungsdrang.

Aber auch Arbeitslosigkeit, Gewalt, Streit, verschiedenste Ansprüche, die von allen Seiten an uns zerren, Zeitdruck usw. lassen oft nur wenig eigenen Bewegungsspielraum, nehmen die Luft zum Atmen.

Verzweiflung macht sich breit.

Es hat ja doch keinen Sinn.

Ein langes Leben und die Erfahrung vor viele Mauern gerannt zu sein, macht viele müde und es fehlt die Kraft und der Mut zu jedem neuen Schritt.

Manche Menschen ähneln dem Gelähmten aus der Geschichte.

Obwohl sie sich bewegen können, sind sie innerlich gefesselt.

Doch es gibt einen Weg aus der Lähmung heraus.

Dieser Weg fängt in unserem Predigttext mit einem Blick an.

„Petrus aber blickte ihn an mit Johannes und sprach: Sieh uns an!“

Reagieren heute viele Menschen nicht anders?

Man kann es beobachten, wenn in der Stadt irgendwo Bettler sitzen und betteln.

Eine Reaktion ist oft der Blick zur Seite oder konzentriert auf die Straße.

Höchstens verstohlen, so gerade aus den Augenwinkeln heraus, wird der Obdachlose betrachtet: Bloß nicht hinsehen, schnell weitergehen, damit der mich bloß nicht anspricht.

Warum eigentlich?

Vielleicht weil man sich das Elend und das Leid nicht so genau ansehen will, weil es schon genug davon im eigenen Leben gibt.

Vielleicht weil viele Menschen Angst haben, sie könnten Mitleid bekommen.

Vielleicht aber auch weil sie schlicht nichts geben wollen, oder selber nicht genug haben, um es dem Bettler zu geben.

Zurück zum Predigttext:

Petrus und Johannes machen es anders.

Sie gehen nicht schnell weiter in den Tempel, sondern machen Halt und sehen den Lahmen an.

Sie können es aushalten.

Sie können einen Blick auf das Leiden dieses Menschen werfen.

Sie gehen das Risiko ein, sich anzurühren zu lassen.

Ja, sie sprechen sogar mit diesem Menschen und fordern ihn auf, auch sie anzusehen.

Sie wollen Kontakt.

Vielleicht ist gerade das das Besondere, das Befremdliche an dieser Wundergeschichte.

Das läge vielen heute doch allzu fern.

Die Orte des Leidens und des Sterbens und auch der Behinderung sind überwiegend die Krankenhäuser, die Alten- und Pflegeheime.

Kranke, Sterbende, Menschen mit Behinderungen verschwinden leider immer mehr aus dem öffentlichen Bewusstsein.

Die Mehrzahl der Jungen und Gesunden muss nicht mehr hinsehen, geschweige denn mit ihnen reden.

Eigentlich schade, denn damit verschwindet auch das Bewusstsein, dass man selbst auch einmal krank werden kann und irgendwann garantiert auch sterben muss.

Das Alter lässt sich auch durch teure Cremes nicht aufhalten.

Man schiebt’s halt von sich weg und versucht es zu ignorieren.

Das gelingt, wie gesagt, nur, solange man selbst fit ist.

Mit dem was dann geschieht rechnet keiner, auch nicht der Lahme.

Er hat sich vielleicht schon zu sehr damit abgefunden, dass er eben der Lahme ist und nichts taugt.

Jeden Tag hat er das erfahren, wenn er sich vor dem Tempel bettelnd wiedergefunden hat und die Menschen an ihm vorbeigingen.

Dass da Menschen sind, die sich ihm zuwenden und nicht die Augen zumachen, kannte er bis dahin nicht.

Aber er lässt sich ein auf diesen Blick.

Und dann geschieht das Unerwartete: Dem Mann wird geholfen.

Allerdings nicht wie er es erwartet hätte.

Er wird gesund gemacht.

Das Unmögliche wird auf einmal möglich.

Die Bewegungsunfähigkeit fällt von ihm ab und er wird frei von seiner Behinderung.

Völlig neue Perspektiven eröffnen sich ihm damit.

„Und er sah sie an und wartete darauf, dass er etwas von ihnen empfinge. Petrus aber sprach: Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher! Und er ergriff ihn bei der rechten Hand und richtete ihn auf. Sogleich wurden seine Füße und Knöchel fest, er sprang auf, konnte gehen und stehen und ging mit ihnen in den Tempel, lief und sprang umher und lobte Gott.“

Ein Geldstück wollte der Mann haben.

Aber das hatte Petrus offensichtlich nicht.

Petrus gibt dem Lahmen von dem ab, was er hat.

Hoffnung und Mut sind es wohl, die Petrus aus dem Glauben an seinen Herrn Jesus Christus schöpft und von dieser Hoffnung hat er so viel, dass er sie dem Lahmen abgibt.

Der Name Jesu, die Kraft des Glaubens bewirkt, dass der Lahme aufstehen kann und aus seiner hoffnungslosen Situation befreit wird.

Neuer Mut und neue Kräfte werden in ihm geweckt.

Ein Wunder, das nur damals funktioniert?

Ein Wunder ist es, dass Gottes Kraft diesen Menschen anrührt, aber das, was Petrus getan, das könnten wir doch eigentlich auch.

Den Kranken und Behinderten, den Leidgeplagten und Einsamen, den Traurigen und Deprimierten, das abgeben, was wir haben, und sie so aus ihrer Bewegungslosigkeit rausholen.

Das sind nicht die großen Taten, sondern fängt ganz klein an: Ein Ohr für die Nöte Anderer haben, einem anderen in tiefer Verzweiflung Mut zusprechen, jemanden helfen, neue Schritte zu gehen und wieder Lebensmut zu gewinnen.

Im Streit, dem anderen aus der Ecke heraushelfen, in der er bewegungslos steht.

Das ist es, was Petrus dem Lahmen im Namen Jesu gibt: die Liebe Gottes.

Diese Hoffnung und die Kraft, die über die Krankheit, den Ist-Zustand hinausblickt, die Petrus hier weitergibt hat er nicht aus sich selbst heraus, sondern die bekommt er von Gott.

Er hat es selbst erlebt, dass Jesus sogar den Tod besiegt hat, der die Menschen dauerhaft lähmen will und er hat von Gott Vergebung erfahren, die ihn befreit hat zu neuen Schritten auf andere Menschen zu.

Diese heilende Kraft Gottes, die Petrus an den Lahmen weitergibt, wirkt auch heute noch gegen Bewegungsunfähigkeit.

Gott will auch uns aus Schuld befreien, die wie eine große Eisenkugel unsere Schritte lähmt.

Er spricht auch uns seine Kraft und Vergebung zu, da wo Streit uns lähmt und er will auch uns wieder Mut machen, wo Verzweiflung uns den Bewegungsspielraum nimmt.

Wie reagieren eigentlich die Umstehenden auf dieses Wunder?

Das Volk ist entsetzt und verwundert.

Ihm fehlt offensichtlich der hoffnungsvolle Blick, für das was sein könnte.

Ihm fehlt der Blick für die hoffnungs- und heilvolle Zukunft, die Gott für uns bereithält.

Sie bleiben gefangen in dem, was ist und halten es nicht für möglich, dass Gott das Leben eines Menschen so schlagartig und heilvoll verändern kann.

Ich wünsche uns, dass wir anders sind.

Dass wir Menschen sind, die sich bewegen und befreien lassen von Gott, und dass wir in der Hilfe anderer Menschen Gott selbst am Werk sehen.

Ich wünsche uns, dass auch wir, wie der Geheilte in der Geschichte, Gott am eigenen Leibe spüren und aus dem Glauben Kraft schöpfen.

Diese Hoffnung befreit uns, zu einem Leben, das wieder beweglich ist und einen Blick über das Leid, die Krankheit, ja sogar den über Tod hinaus wagt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.