10.04.2020 - "Lasst uns versöhnen mit Gott!" - 2. Kor. 5, 14b-21 - Karfreitag (Pfr. Fischer)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Das Predigtwort für den heutigen Karfreitag steht im 2. Brief des Paulus an die Korinther im 5. Kapitel:
Wenn einer für alle gestorben ist, so sind alle gestorben.
Und er [Jesus Christus] ist darum für alle gestorben, damit, die da leben, hinfort nicht sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und auferstanden ist.
Darum kennen wir von nun an niemanden mehr nach dem Fleisch; und auch wenn wir Christus gekannt haben nach dem Fleisch, so kennen wir ihn doch jetzt so nicht mehr.
Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.
Aber das alles [ist] von Gott, der uns mit sich selber versöhnt hat durch Christus und uns das Amt gegeben hat, das die Versöhnung predigt.
Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.
So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!
Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.

Liebe Gemeinde,
ich habe eine moderne Legende gefunden, die ich Euch erzählen will:
Am Ende der Zeiten versammelten sich alle Menschen, die gelebt hatten, auf einer großen Ebene vor dem Thron Gottes.
Sie warteten auf Gottes Gericht, das über sie kommen sollte.
Die Menschen blieben nicht stumm und warteten auch nicht zitternd auf ihr Urteil.
Nein, sie waren empört und protestierten.
„Wie kann Gott uns richten? Was weiß er schon, was wir ertragen mussten?“ schrie eine Frau.
Sie riss einen Ärmel hoch und zeigte die eintätowierte Nummer aus einem Konzentrationslager. „Wir ertrugen Terror, Schläge und Tod! Und er will uns richten?!“
Ein Schwarzer zeigte die hässliche Wunde an seinem Hals, die vom Strick herrührte und rief: „Was weiß schon Gott vom Leid in der Welt! Gehängt wurde ich, für das Verbrechen, schwarze Hautfarbe zu haben!“
Und viele andere klagten: „Eine einzige Wunde sind wir! Verbrannt vom Napalm, das die Flugzeuge abwarfen, die in Gottes Namen gesegnet wurden!“
So klagten Tausende, sie klagten Gott an wegen des Bösen und des Leides, dass er in der Welt zuließ.
„Er hat Schuld!“ schrien sie. „Wir wollen nichts mehr zu tun haben mit ihm. Ihn quält kein Hunger, kein Hass, kein Schmerz. Er hat die Augen verschlossen vor unserm Leid! Nein, wir wollen nichts zu tun haben mit ihm.“
Soweit zunächst die Legende.

Gott als der Feind des Menschen - so sehen viele Menschen Gott an; und das nicht erst am Jüngsten Tag, sondern heute schon.
Und viele ziehen daraus die Konsequenz: „Wir wollen mit Gott nichts zu tun haben, seine Feinde sind wir.
Wir wollen leben ohne ihn!“ – Für diese Menschen existiert Gott nicht mehr, spielt keine Rolle mehr in ihrem Leben.
Mit den Fingern auf diese Menschen zu zeigen, hilft uns nicht weiter, denn ist es nicht so: handeln wir nicht oft auch genauso?
Wir schieben Gott in unserem Leben beiseite, immer mehr an den Rand, bis er schließlich ganz verschwindet.
Wir brauchen ihn nicht bei dem, was wir tun: In der Schule beim Arbeiten, in der Freizeit, in der Ehe und Familie.
Was soll er da schon bestimmen? Wir wollen doch selbst bestimmen, leben, wie es uns gefällt, tun und lassen, was wir wollen.
Und es geht: Gott vergessen und so leben, als gäbe es ihn nicht.

„Wie?“, sagen sie, „für mich trifft das Alles doch nicht zu. Ich versuche tagtäglich mein ganzes Leben nach Gottes Willen zu leben!“
Wunderbar, wenn Sie das tun.
Aber lassen sie sich’s gesagt sein: Es geht ohne Gott zu leben.
Und es geht oft viel schneller, als man es erwartet hat. Ja, das geht.
Aber viele erfahren auch dabei: „Das geht nicht gut!“ – Da sind die, die in ihrem Leben zu kurz kommen, weil sie nicht so resolut sind, um sich gegen andere durchzusetzen.
Da liegen die Opfer an der Strecke der steilen Karriere, die dem Ehrgeiz im Weg waren.
Und wir Reichen aus den Industrienationen – wir, die nicht verhungern müssen, weil wir immer noch auf Kosten der armen Länder gut leben und wir, die nicht verachtet werden, weil wir es zu etwas gebracht haben – wir sind trotzdem nicht besser dran als unsere Opfer; Denn auch wir werden oft von Angst beherrscht.
Von der Angst z.B., morgen vielleicht einem Stärkeren zum Opfer zu fallen, weil auf einmal wir ihm im Weg sind: dem jüngeren und ehrgeizigem Mitarbeiter im Betrieb, der gern auf meinem Stuhl sitzen würde, oder die jüngere, attraktivere Frau, die dem Ehemann vielleicht besser gefallen könnte, oder die Angst vor dem Euro, dass vielleicht unsere hart ersparten Abermilliarden weniger wert sein könnten.
Und auch diese Angst kann einen so richtig schütteln: „Wann werden wir zu den Opfern gehören, weil wir zum alten Eisen gehören, krank sind und nicht mehr leistungsfähig; weil uns unsere Kinder im Stich lassen und abschieben oder der Ehepartner stirbt und man plötzlich alleine ist?“
Und manchmal, da quält einem auch Schuld.
Da stehen in schlaflosen Nächten auf einmal die Gesichter auf, die man längst vergessen glaubte; und sie fragen:
„Warum hast du das getan, damals?“ oder „Warum bist du so feige und untätig gewesen?“ Und so sehr man sich zu verteidigen versucht, es hilft nichts; das Schuldgefühl, das schlechte Gewissen bleibt.

Ja, das geht: Gott abschaffen und ohne ihn leben wollen.
Aber was machen Menschen bei solch einem Leben aus sich?
Leute, die nur noch „Ich“ sagen können, die im anderen immer nur den Konkurrenten sehen – immer nur von Angst beherrscht, etwas Unvorhergesehenes könnte den Lebensplan durchkreuzen, unruhig, weil man sich doch nicht so sicher ist, wie man immer tut, schuldig, aber unfähig, „Ich bin es gewesen“ zu sagen.
Sehen wir nicht auch manchmal in Gott den Fernen, den Unnahbaren, den, der sich von nichts anrühren lässt?
Sind wir nicht manchmal auch ganz nahe bei denen, die fragen: „Was hilft uns dieser Gott?
Welches Recht hat er auf uns, die wir uns in dieser Welt selbst durchbeißen müssen?“

Mit dieser Frage geht auch die Legende weiter, die ich am Anfang angefangen habe, zu erzählen:
„Welches Recht hat Gott, uns zu richten?“ fragten die Menschen vor Gottes Thron. Sie wählten sich ein Gruppe. Die, die am meisten gelitten hatten, wurden ausgewählt und sollten beraten, was zu tun wäre.
Man wurde sich schnell einig: Gott müsste das durchmachen, was sie alle ausgehalten haben, bevor er richten könne. Das verkündeten sie unter großem Beifall der Menge.
„Aber“, sagte einer, „damit sich Gott nicht selbst mit seinen göttlichen Kräften helfen kann, haben wir folgende Bedingungen:“
„Er soll als Jude geboren werden!“ sagte ein im KZ vergaster Jude. „Niemand soll wissen, wer sein Vater ist!“ sagte das von seiner Mutter totgeschlagene, uneheliche Kind. „Die Menschen sollen ihn hassen und verdammen, weil er ihre Ruhe stört“ wünschte ein Dritter.
„Gott soll das Unmögliche versuchen: Nämlich den Menschen zu erklären, wer er ist!“ forderte ein zu Tote gefolterter Priester. Und einer, der lebenslang unschuldig im Zuchthaus gesessen war, forderte: „Gott soll der Prozess gemacht werden mit einer falschen Anklage, von einem voreingenommenen Gerichtshof und mit einem feigen Richter.“ – „Vor allem aber“, sagte der letzte. „Gott soll hingerichtet werden. Einen gemeinen Verbrechertod soll er sterben, zusammen mit einem Mörder.“
Jeder Sprecher wurde bejubelt. Aber als der letzte gesprochen hatte, trat eine lange Stille ein. Niemand sagte auch nur ein Wort. Denn plötzlich wussten alle: Gott hatte dies alles ja schon getragen.
Gott hat dies alles schon getragen! Das ist die Botschaft von Karfreitag. In Jesus hat er dies erlitten und erduldet. Nicht rausgehalten aus Unglück und Leid hat er sich – nein, er hat sich selbst zum Opfer gemacht.
Dort, in dem verachteten Jesus von Nazareth, der ohne Macht und Herrlichkeit starb, da ist Gott zu finden.
Was tut er dort in einem Verachteten?
Er nimmt unsere Verachtung auf sich – auch unsere Gefühlskälte.
Er nahm das Elend der Welt auf sich – auch unsere Traurigkeit.
Er forderte von den Menschen nicht Opfer – er machte sich selbst zum Sündenbock, an dem sich der Hass der Menschen, die Macht der Sünde austobte.
Er starb nicht „irgendeinen Tod“, sondern den Verbrechertod der Hoffnungslosigkeit und der Gottverlassenheit.
Er starb den Tod, den eigentlich wir verdienen.
Deshalb gilt: Gott litt nicht einfach mit uns, sondern er litt für uns; weil er den Tod gestorben ist, den wir nicht mehr zu sterben brauchen.
Wir brauchen nicht mehr zu sterben mit dem Schrei auf den Lippen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!“
So vergilt uns Gott unsere Feindschaft, nicht mit Rache, nicht nach dem Motto „Wie du mir, so ich dir“.
Sondern: Er vergilt uns unsere Feindschaft, in dem er tauscht:
Unsere Ungerechtigkeit und Schuld auf sich – seine Gerechtigkeit auf uns!
Unser Zorn und Kummer auf sich – seine Freude auf uns!
Unsere Gottverlassenheit auf sich – seine Gegenwart für uns!
Das ist der Grund von Karfreitag – wenn wir ihn doch nur richtig begreifen:
Gott ist uns so nahe gekommen, weil er aus uns Feinden seine Freunde machen wollte und machen will.
Gottes Nähe hängt nicht von unserem Glauben oder Unglauben ab.
Bevor wir etwas tun könnten, gilt von Gottes Seite aus schon längst: Gott hat längst uns mit sich versöhnt.
Das heißt: Von seiner Seite steht nichts dagegen, dass unsere Schuld ausgelöscht wird.
Das gilt, ob wir es annehmen oder nicht. Gott hat uns bereits mit sich versöhnt.
Aber lassen wir uns mit ihm versöhnen?
Dass wir das annehmen und die Feindschaft mit Gott ablegen, darum kann Gott nur bitten und einladen: „Lass dich mit mir versöhnen!“
Ein Bittender übt keine große Macht auf den anderen aus. Er bedrängt keinen, er nötigt keinen.
Das machen die Herrscher; sie befehlen.
Die Richter urteilen.
Die Parteiführer fordern.

Gott aber bittet.
Er lädt ein: „Nehmt meine Freundschaft an!“
Ich möchte Sie daran erinnern, dass Karfreitag der höchste protestantische Feiertag ist und nicht Ostern, wie viele irrtümlich annehmen.
Der Grund dafür ist der:
Karfreitag ist der große Wendepunkt in der Geschichte der Welt, in unserer ganz persönlichen Lebensgeschichte.
An diesem Tag hält Gott die große Abrechnung mit uns.
Er zeigt uns, was wir eigentlich ertragen müssten und – trägt es dann selbst.
Das heißt: Unser Leben ist uns an diesem Tag neu geschenkt.
„Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur!“ schreibt Paulus. Wir sind nicht mehr auf unsere Vergangenheit festgenagelt, auch nicht auf unsere Bosheit.
Gott hat alles getragen.
Wir brauchen also nicht mehr unsere Schuld andern in die Schuhe zu schieben, oder sie zu verdrängen.
Wir können unsere Schuld bekennen und sagen: „Ich war es! Und es tut mir von Herzen leid.“
Weil unsere Schuld vergeben wird, deshalb sind wir neu.
Das ist das große Angebot Gottes an uns heute am Karfreitag.
Neu werden in Christus.
Frei werden in Christus.
Geborgen sein in Christus.
Gemeinschaft und Freundschaft haben miteinander in Christus.
Lasst uns versöhnen mit Gott! Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Gebet
Lasset uns im Frieden den Herrn anrufen: um den Frieden, der von oben kommt, und das Heil unserer Seelen,
um den Frieden der ganzen Welt und die Ausbreitung des Evangeliums in allen Völkern,
um die Dauer der heiligen Kirche und um Einigkeit unter allen Menschen,
lasset uns den Herrn anrufen:
Herr, erbarme dich.

Für dieses geheiligte Haus
und für alle, die es im Glauben und in der Furcht Gottes betreten,
für die Bischöfe, Hirten und Lehrer, dass sie das Wort der Wahrheit recht verkündigen,
für die ganze christliche Gemeinde
und für alle, die ihr dienen im Amt der Leitung und in der Arbeit der Liebe,
lasset uns den Herrn anrufen:
Herr, erbarme dich.
Für unser Land und alle, die für sein Wohl Verantwortung tragen, dass ihnen Gott beistehe und sie leite,
für diesen Ort und alle, die darin wohnen,
lasset uns den Herrn anrufen:
Herr, erbarme dich.

Um Gottes Segen für unsere Arbeit,
um Gesundheit der Luft, Fruchtbarkeit der Erde und friedliche Zeiten,
lasset uns den Herrn anrufen:
Herr, erbarme dich.

Für die Armen, Elenden und Gefangenen,
für die Betrübten und Angefochtenen,
für die Kranken und Sterbenden und für ihr Heil
und dass Gott uns aus aller Trübsal, Gewalt, Gefahr und Not errette
und uns, wenn unsere letzte Stunde kommt, in Frieden heimhole,
lasset uns den Herrn bitten:
Herr, erbarme dich.

Nimm dich unser gnädig an,
rette und erhalte uns,
denn dir allein gebührt der Ruhm und die Ehre und die Anbetung,
dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geist,
jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.