08.03.2020 - "Achtet einander!" - Röm 12,1-8 - Reminiscere (Pfr. Fischer)

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Das Predigtwort für den heutigen Sonntag hören wir aus dem Römerbrief des Paulus, Kapitel 12, die Verse 1-8:
Ich ermahne euch durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist.
Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.
Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.
Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich’s gebührt zu halten, sondern dass er maßvoll von sich halte, ein jeder, wie Gott das Maß des Glaubens ausgeteilt hat.
Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied, und haben verschiedene Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.
Ist jemand prophetische Rede gegeben, so übe er sie dem Glauben gemäß.
Ist jemand ein Amt gegeben, so diene er.
Ist jemand Lehre gegeben, so lehre er.
Ist jemand Ermahnung gegeben, so ermahne er.
Gibt jemand, so gebe er mit lauterem Sinn.
Steht jemand der Gemeinde vor, so sei er sorgfältig.
Übt jemand Barmherzigkeit, so tue er’s gern.

[KANZELSEGEN]
Liebe Gemeinde,
heut‘ bekommt jeder von uns sein Fett weg.
Das war mein erster Gedanke zu Pauli Worten.
Ob Gemeindeglied, ob Kirchenvorstand, ob Pfarrer – jeden und jede nimmt sich der Apostel zu Brust.
Wie unartige Kinder und aufmüpfige Jugendliche, denen mal so richtig der Kopf gewaschen wird.

So wie damals aus meiner aufmüpfigen Kindheit, als mich eine ältere Dame vor Beginn meines Präparandenunterrichts zur Seite nahm.
Mit ernster Miene und erhobenem Zeigefinger lehrte sie mich: „Doo muss mer fei horng und doo, was der Herr Pfarrer soocht!“
Der „Herr Pfarrer“ hat es heute nicht mehr ganz so einfach.
Klar wünsche auch ich mir von meinen Präparanden und Konfirmanden, dass sie aufmerksam zuhören und mitarbeiten.
Doch sie werden es nicht mehr nur deshalb tun, weil ich der „Herr Pfarrer“ bin.
Die junge Generation hat begriffen, dass der „Herr Pfarrer“ den Unterricht auch gut vorbereiten und halten muss.
Ich kann mich nicht einfach vorne hinstellen und Quark erzählen, oder nur auswendig lernen lassen, dass Euch die Köpfe rauchen.
Unsere Jugend hat Anspruch darauf, dass das was ich ihnen erzähle auch etwas mit ihrem persönlichem Leben und Glauben zu tun hat.

Wie wir sehen können, haben sich die Zeiten schon geändert.
Allein Bürgermeister, Arzt, Apotheker, Lehrer oder eben Pfarrer zu sein, reicht nicht mehr aus.
Und ich denke, dass dies ganz im Sinne von Paulus ist: „Niemand soll mehr von sich halten, als ihm zusteht.“
Ich könnte auch sagen: „Schuster bleib bei deinen Leisten“; „Bescheidenheit ist eine Zier.“

Denn nicht Menschen machen mich, auch nicht mein Beruf oder mein Titel, sondern allein Gottes Gnade.
Die Zeiten haben sich geändert und haben das Arbeiten für mich als Pfarrer oder die Honoratioren unserer Gemeinde schwieriger gemacht.
Respekt muss man sich heutzutage verdienen.
Es gibt keinen Vorschuss mehr darauf.

Die gute Seite daran ist, dass sich mit gehobenem Anspruch meist auch die Qualität steigert.
Der Konfi-Unterricht, der Religionsunterricht oder eben auch die Gemeindearbeit werden eben besser, wenn alle Seiten ihr Bestes geben.
Wichtiger als der Respekt ist für mich aber die Achtung.
Während der Respekt eher auf unsere Lebensleistung bezogen ist, nimmt die Achtung uns Menschen als Gesamtkunstwerk in den Blick.
Anscheinend war das Virus der Respekt- und Achtlosigkeit, der sich momentan in unserer Gesellschaft ausbreitet, auch in den Zeiten des Paulus virulent.
Und was für die christlichen Gemeinden des ersten Jahrhunderts galt, gilt freilich auch noch für uns.
Wir sollen uns gegenseitig achten, ohne Ansehen der Person; und das nicht nur als Christen, aber vor allem als Christen sollen wir in der Welt ein überragendes Zeichen der Mitmenschlichkeit setzen.
Denn wir Christen besitzen den Wirkstoff gegen die Asozialität.
Wenn jede und jeder unter uns erkennt, dass sie oder er Nichts ist ohne Gott, dann man gar nicht anders, als bescheiden zu sein.
Denn auch mein Nächster ist ein von Gott Geliebter – nicht nur ich.
Denn auch mein Nächster ist ein von Gott Beschenkter – nicht nur ich.
Denn auch mein Nächster ist ein Kind des einen Gottes – nicht nur ich.
Wenn ich das erkannt habe, wie könnte ich meinem Nächsten anders behandeln, als ihm Achtung entgegenzubringen!

Paulus gebraucht ein sehr anschauliches Bild für das, was er unter gegenseitiger Achtung meint – oder ich könnte auch sagen unter geschwisterlichem Umgang in einer Gemeinde.
Das Bild, das er gebraucht, ist unser Körper.
Dieser Körper erscheint auf den allerersten Blick als Gesamtheit.
Doch jeder von uns weiß, dass unser Körper viel mehr ist, als nur das erste flüchtige Erscheinungsbild.
Unsere Körper sind Gottes Wunderwerke.
Jeder von uns besteht aus 10 bis 100 Billionen Körperzellen (10.000-Milliarden/100.000-Milliarden).
Jeder von uns besitzt über 300 unterschiedliche Zelltypen, aus denen sich dann die verschiedenen Knochen, Organe und Gewebe bilden.

Jedes einzelne Körperteil ist wichtig.
Jeder einzelne Knochen, jedes einzelne Organ hat seinen eigenen Zweck, das eine mehr – das andere weniger.
Jedes einzelne ist wichtig um daraus den Pfarrer Fischer zu formen oder jeden einzelnen unter uns.

Wir begreifen längst, warum Paulus unsere christliche Gemeinschaft mit einem Körper vergleicht: Es kommt zugleich auf Beides an:
Auf das Gesamte wie auf das Einzelne.
Als Gesamtes sind wir der Leib Christi.
Wir sind seine Kirche, weil Jesus Christus die Quelle ist, aus der wir leben und glauben.

Und als Gemeinschaft sind wir noch mehr: Jesus Christus ist gegenwärtig, wenn wir miteinander Gottesdienst feiern, wenn wir sein Wort mit unseren Herzen hören und miteinander Abendmahl feiern.
Das alles verbindet uns.
Unser Beten, unser Bekennen, unser Zeugnis, unser Dienst.
Jesus Christus begegnet uns dort, wo wir einander in Liebe begegnen.
Wo wir einander nicht gleichgültig sind, sondern uns gegenseitig helfen, die Lasten zu tragen.
Jesus Christus ist gegenwärtig in den guten und wertvollen Beziehungen, die wir untereinander pflegen.
Das Alles hat mit gegenseitiger Achtung zu tun.
Es ist die Achtung, die ich meinem Nächsten entgegenbringe als meinem Mitgeschöpf, als meiner Schwester, meinem Bruder in Christus.

Es ist auch die Achtung vor dem Reichtum, mit dem Gott jeden von uns ausgestattet hat.
Es sind Gaben, die nicht aus uns selbst kommen, für die wir eigentlich nichts können.
Paulus nennt sie Gnadengaben.
Im griechischen Urtext steht da „Charisma“.

Wir kennen dieses Wort noch heute.
Wenn jemand Charisma hat, dann meint man damit meist dessen besondere Begabung.
Wenn wir heutzutage davon reden meinen wir vor allem das Außergewöhnliche:
Ein begabter Schüler lernt leichter und kriegt bessere Noten als seine Mitschüler.
Ein Fußballtalent kickt den Ball etwas eleganter und spielt seinen Gegner öfters aus.
Doch dieses Außergewöhnliche meint Paulus gerade nicht, wenn er von „Charisma“ redet.
Für ihn heißt das:
Jeder Mensch ist von Gott mit Talent und Begabung ausgestattet.
Es gibt wirklich keinen unter uns, der unbegabt wäre.
D.h. doch dann: Talent und Begabung sind eben nicht das Besondere, sondern das Selbstverständliche.
Falls Sie es noch niemals getan haben, überlegt doch einmal kurz für euch selbst im Stillen, was ihr persönlich gut könnt – und das nicht nur im religiösen Bereich.
Nur zu, keine falsche Bescheidenheit

Ich bin überzeugt jeder findet etwas an sich, für das er oder sie Gott danken kann.
Klar gibt es da Unterschiede – erinnern wir uns an das Bild vom Leib und seinen Gliedern.
Jeder kann etwas besser oder schlechter als andere.
Es gibt keinen Menschen, dem alles zu Gold wird, was er anfassen.

Die Unterschiede sind da.
Und sie sind wichtig!
Aber sie haben eigentlich kein besonderes Gewicht.
Denn alle Begabungen stammen von Gott; er hat sie uns zugeteilt.
Wie könnten wir uns dieser Gaben rühmen?
Wie könnten wir die Eine über die Andere setzen?
Jede von ihnen ist wichtig für den Leib Christi – für unsere Gemeinschaft als Christinnen und Christen.
Die Frage ist nur, wie wir mit unseren Gottesgaben umgehen.
Paulus sagt zweierlei:
1. Wir sollen uns nichts darauf einbilden, denn wir können ja nichts dafür. Gott hat sie uns gegeben.
Ihn allen sollen wir dafür loben und danken.
2. Wir sollen unsere Gnadengaben füreinander dienstbar machen – und zwar so richtig.

Also, wenn jemand seine Begabung an sich entdeckt hat, dann nichts wie los und sie fruchtbar gemacht für den Leib Christi.
Unsere Gemeinschaft braucht Lehrer im Glauben, genauso wie Menschen, die bereit sind für ein Amt Verantwortung zu übernehmen.
Wir brauchen in unserer Mitte auch kritische Leute, die uns sagen, wenn wir auf dem Holzweg sind.
Der Leib Christi braucht Musikanten, Dichter und Denker, die unser Leben reicher machen, Zuhörer, Zusprecher, Zupacker.
Nichts, wirklich nichts ist zu gering, auch wenn sie uns auf den ersten Blick so erscheinen mag!
Und – wie schon gesagt - es gibt für Menschen keinen einzigen Grund, sich ihre Begabung heraushängen zu lassen und damit andere zu demütigen – sei es in Politik, Gesellschaft oder in unserer Kirche.
Wer die Gottesgaben seines Nächsten auch nur im Geringsten antastet und versucht, sie herabzusetzen, der verspottet damit den Geber der Gaben, Gott selbst.

Ich komme zum Schluss:
Ich wünsche uns für unsere gemeinsame Zeit, dass wir uns als gemeinsame unterschiedliche Glieder am Leib Christi verstehen;
dass wir uns gegenseitig mit Achtung begegnen;
dass wir ehrlich miteinander umgehen und offen über das reden können, was uns aneinander nicht passt;
dass wir miteinander die Gottesgaben des Anderen entdecken und uns gegenseitig Mut machen, sie für unsere Gemeinschaft in Christus einzubringen;
dass wir viel voneinander lernen.
Und - dass wir uns mit der Liebe begegnen, mit der Jesus Christus uns begegnet. Amen.

Der Friede, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.


Wochenspruch
Gott erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. (Römer 5,8)

Fürbittengebet
Barmherziger, gnädiger Gott,
wir danken dir für den Leib, den du uns gegeben hast.
Nicht immer sind wir damit zufrieden, wenn wir in den Spiegel schauen.
Manchmal behindern uns Krankheit und Schmerzen, aber dennoch ist es der Körper, der jeden von uns zu dem macht, was wir sind- einmalig und unverwechselbar.

Wir danken dir für alle Fähigkeiten und Begabungen, mit denen du uns ausgestattet hast.
Lass sie uns einsetzen zum Dienst am Nächsten und dir zum Ruhm und Lob.
Und stelle uns andere Menschen an die Seite, die uns ergänzen und bereichern, damit wir gemeinsam als Glieder Christi Gemeinde bauen können.

Wir bitten dich für die, die dem Jugendlichkeitswahn unserer Zeit verfallen sind.
Gib ihnen die Einsicht, dass auch sie einmal alt werden und dass dann Falten und Runzeln zu ihrem Körper dazugehören.
Lass sie erkennen, dass jede Falte ein Stück Lebensweisheit oder auch Sorge ausdrückt und deshalb die Würde des Menschen nach außen hin sichtbar macht.

Wir bitten dich für die, die unter Gebrechlichkeit oder starken Schmerzen leiden.
Zeige ihnen, dass du dich in ihrer Qual nicht von ihnen entfernt hast, sondern im Gegenteil mit ihnen mitleidest.
Lindere du ihr Leid und lass sie gute Menschen in ihrer Nähe haben, die ihren Kummer mittragen und zu lindern helfen.

Wir bitten dich für die, die in Ängsten und Depressionen gefangen sind.
Schenke ihnen eine verständnisvolle Umgebung und hilf ihnen, durch deine Liebe ihre Fesseln zu sprengen.

Bitte für die Gemeinde …

Und schließlich bitte wir dich für uns selbst.
Lass uns jeden Tag dankbar aus deiner Hand nehmen.
Und lehre uns bedenken, dass wir unser Leben in deine Hand zurückgeben werden.
Dann sind unsere Tage erfüllt von Jubel und von Dank.
Amen.

Vaterunser